Möglichkeitsräume mit Blick in die Zukunft
Ein Interview mit Professor Dr. Andreas Größler zum Forum Zukunftsorientierte Steuerung
#GIDSnews | 25. März 2022 | Autorin: Dr. Victoria Eicker | Fotos. Bundeswehr / Ralf Wilke & Fotohaus Kienzle
„Nach der Krise ist vor der Krise“ – das diesjährige Thema des „Forums Zukunftsorientierte Steuerung“ könnte aktueller nicht sein. Nach zwei Jahren Pandemie folgte Anfang 2022 ein Krieg auf europäischem Boden. Beide Krisen haben dramatische Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Simulationen bieten die Möglichkeit, sich auf eine ungewisse Zukunft vorzubereiten, indem man mit ihnen für eine zukunftsorientierte Steuerung lernen kann. Wie das geht, wird am 30. März 2022 an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg mit Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Militär diskutiert. Das Kooperationsprojekt zwischen der Universität Stuttgart, der Spitzner Consulting und dem German Institute for Defence and Strategic Studies findet bereits zum elften Mal statt. Das GIDS sprach vorab mit Professor Dr. Andreas Größler von der Universität Stuttgart, die dieses Jahr das erste Mal als Kooperationspartner teilnimmt.
Herr Professor Größler, die Universität Stuttgart ist dieses Jahr das erste Mal Kooperationspartner beim Forum Zukunftsorientierte Steuerung. Wie kam es dazu?
Nachdem Herr Professor Dr. Matthias Meyer von der Technischen Universität Hamburg leider nicht mehr als Kooperationspartner zur Verfügung stand, wurde ich gefragt. Ich bin bereits seit vielen Jahren Gast beim Forum und das sowohl als Teilnehmer wie auch in aktiver Funktion. 2016 habe ich ein Modul zu Risiko und Unsicherheit und 2018 ein Modul zu Supply Chains sprich Lieferketten
moderiert. Beide Module wurden mit der Methode der System Dynamics betrachtet. Das ist eine ganz bestimmte Modellierungs- beziehungsweise Simulationsmethode, die man für größere Systeme und Strukturen anwendet. Insgesamt habe ich bereits vier Foren besucht. Somit war der Kontakt schon da. Da ich sehr viel mit Modellierung und Simulationen arbeite und das einer meiner
Forschungsschwerpunkte ist, kam es zu der Kooperation.
Können Sie vielleicht einmal kurz skizzieren, worum es sich bei einer Simulation handelt?
Eine Simulation ist das Generieren von einem Zeitverhalten. Es ist eine Methode, um herauszufinden, wie sich etwas in der Zukunft entwickeln könnte. Dabei kann man verschiedene Verläufe betrachten. Simulation ist allerdings keine Vorhersage. Es ist ein Blick in eine mögliche Entwicklung in der Zukunft. Die Oberbegriffe sind Modellierung und Simulation. Dazu gibt es dann verschiedene Methoden, wovon eine System Dynamics – also Systemdynamik – ist. Es gibt aber auch andere wie Agentenbasierte Simulation oder Dynamic Competitive Simulation, zu der auch Wargaming gehört.
Was macht denn beispielsweise eine Methode wie System Dynamics aus?
Das Besondere bei System Dynamics ist, dass es eine relativ hohe Flughöhe einnimmt. System Dynamics geht strategisch an Sachverhalte und Fragestellungen heran. Ein Beispiel: Wollte man System Dynamics beispielsweise auf die Covid-Pandemie anwenden, würde man sich mit dieser Methode anschauen, wie viele Infizierte in verschiedenen Alterskohorten oder wie viele Genesene es gibt. Während man sich mit anderen Methoden vielleicht einzelne Menschen anschauen würde, also beispielsweise der Frage nachgehen könnte, wie sich ein Individuum in einer Pandemie verhält oder wann es infiziert wird und wie viele es dann noch infiziert. Mit System Dynamics schaut man sich weniger den Einzelnen an, als vielmehr Gruppen und wie die sich dann verhalten.
Sie beschäftigen sich schon sehr lange mit Modellierung und Simulation. Was kann man denn
damit lernen?
Bei Modellierung und Simulation geht es um das strukturierte Nachdenken über die Zukunft. Modellierung ist die – meistens mathematische – Formulierung eines Abbilds einer Situation. Und die Simulation ist dann was mit dem Modell passiert. Es hat bisher noch niemand beispielsweise eine Simulation modelliert, die hätte vorhersagen können, dass im Spätherbst 2019 in China ein neues
Virus entstehen wird, das auf den Menschen überspringt. Gleichwohl gab es natürlich schon vorher Simulationen zu Pandemien. Wenn man Modelle baut, die als Grundlage für Simulationen dienen, dann möchte man etwas über einen Sachverhalt lernen. Und wenn man die Modelle dann hat und verschiedene Simulationen laufen lassen kann, dann kann man verschiedene Möglichkeiten
durchspielen. Das nennt man auch Möglichkeitsräume. Aber keine dieser Möglichkeiten, die man in einem dieser Räume erkundet, wird genauso eintreten in der Zukunft.
Was ist dann der Vorteil davon?
Es geht darum, etwas über eine mögliche Zukunft zu lernen. Der Vorteil liegt darin, dass man Möglichkeiten von Zukunftsszenarien ausprobieren kann, mit denen man sich vielleicht zukünftig beschäftigen muss. So kann man sich darauf vorbereiten und eventuell schon Maßnahmen ergreifen, um auf diese Möglichkeitsräume vorbereitet zu sein. Zurück zum Beispiel mit der Covid-Pandemie. Es
gab beziehungsweise gibt natürlich Simulationen zu Pandemien. Aber nicht genau auf dieses Szenario. Wie auch? Es gab Covid-19 vorher nicht. Aber man hatte Modelle, die die Auswirkung und Ausbreitung von Infektionen oder Viren durchspielen konnten. Beispielsweise welche Wirkungen Impfungen haben, welche Wirkung Social Distancing hat oder auch wo man das am besten einsetzt und wo nicht. Das sind alles Fragen, die man im Vorfeld mit Modellierungssimulationen grundsätzlich ausprobiert hat oder ausprobieren kann. Im laufenden Prozess wurde die Modellierung dann an die biologischen Rahmendaten des Virus angepasst. Dadurch wird die Simulation realitätsnäher und fokussierter. So konnte man besser mit den Simulationen lernen und konkrete Eingriffsmöglichkeiten evaluieren. Durch das Lernen kann man dann wichtige Entscheidungen fundierter treffen. Man kann
viele Sachen ausprobieren, die man so in der Realität natürlich nicht ausprobieren kann.
Sie haben einen Lehrstuhl für Betriebswirtschaft, Operations Management und Supply Chain
Management, also sprich das Management von Liefer- oder Versorgungsketten. Zudem leiten Sie
die Deutsche Gesellschaft für System Dynamics e.V. Was sind Ihre Schwerpunkte?
Wir beschäftigen uns unter anderem damit, welche Auswirkungen Verzögerungen oder Unterbrechungen in Supply Chains auf Unternehmen haben. Das ist gerade sehr aktuell. Unter anderem durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie aber nun auch durch den Krieg in der Ukraine und dessen Folgen. Das wird extreme Auswirkungen auf die Lieferketten haben. Es gibt relativ abstrakte Modellierungen aber auch sehr konkrete, die auf bestimmte Unternehmen oder Industriezweige hin konzipiert wurden. Bei Unternehmen ist es oft so, dass sie ihre Lieferanten kennen, aber nicht die Lieferanten der Lieferanten. Und dann überschauen sie auch nicht immer alle Risiken oder möglichen Folgen bei Veränderungen. Da wird es schnell sehr komplex, schwierig und
undurchsichtig. Auch das neue Lieferkettengesetz ist eine große Herausforderung für große Unternehmen. Das verpflichtet große Unternehmen, zu schauen, dass in ihren Lieferketten gewisse soziale und ethische Standards eingehalten werden.
Welche Erwartungen haben Sie an das diesjährige Forum?
Das Forum ist insofern besonders, als dass es die Bereiche Wirtschaft, Wissenschaft und Militär zusammenbringt. Dadurch bekommt man Einblick in unterschiedliche Anwendungsperspektiven. Wir profitieren auch alle von der Dichte an Disziplinen. Da sind Betriebswissenschaftler, Naturwissenschaftler und Ingenieure aber auch Militärs. Kurzum: interdisziplinärer Austausch,
verschiedene Perspektiven kennenlernen und miteinander ins Gespräch kommen – ich erwarte mir viele spannende Gespräche und Impulse.
Was können Sie vom Militär lernen?
Ich hatte vorher wenig bis keine Berührungspunkte mit dem Militär. Auf einem sehr abstrakten Niveau behandeln wir in der Wissenschaft beziehungsweise auch in der Wirtschaft sehr ähnliche Themen – beispielsweise Versorgungsketten. Aber auf einem konkreten Niveau gibt es dann doch sehr große Unterschiede. Beim Militär geht es am Ende um ethische und moralisch schwerwiegende Sachverhalte oder Fragen. Am Ende geht um Krieg und Frieden, Leben und Tod. Das nötigt mir Respekt ab. Das macht es für mich interessant und faszinierend. Einmal diese sehr schwierigen Fragen und auf der anderen Seite die sehr bodenständigen Fragen wie dem Management von Versorgungsketten.