„Reassurance and Reengagement“

Istanbul Security Conference 2019 vom 28. – 30. April 2019

In Zeiten großer Veränderungen und dynamischer Prozesse kommen Drehscheiben und Schnittstellen eine besondere Bedeutung zu. In vielfacher Hinsicht ist die Türkei ein solcher Kontenpunkt: als Brücke zwischen Europa und Asien, als einziges NATO-Mitglied mit einer überwiegend islamischen Bevölkerung, als mit Abstand größte Volkswirtschaft in der Region und als enorm dynamische Gesellschaft mit großen politischen und wirtschaftlichen Ambitionen.

Dass die Türkei aus europäischer und besonders deutscher Sicht ein unverzichtbarer aber zuweilen schwieriger Partner ist, wurde auf der nun schon zum fünften Mal stattfindenden Istanbul Security Conference deutlich. Unter dem Titel „Reassurance and Reengagement“ diskutierten mehr als einhundert Konferenzteilnehmer über Fragen der Rückversicherung, des Selbstverständnisses und der Weiterentwicklung der Beziehungen vor allem in deutsch-türkischer Perspektive und mit dem Schwerpunkt auf außen- und sicherheitspolitische Aspekte.

Die gemeinsam von der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Baskent University Istanbul veranstaltete Tagung zählt mittlerweile zu den etablierten internationalen sicherheitspolitischen Konferenzen, mit einer Strahlkraft, die weit über den Nahen Osten hinausreicht. Die herausragende Bedeutung der Türkei für die Sicherheitsarchitektur der Region zeigte sich nicht zuletzt in den hochkarätig besetzten Panels mit Teilnehmern aus Politik, Wissenschaft, Militär und Medien aus 16 Nationen, darunter neben starker deutscher und türkischer Beteiligung auch den USA, Iran, Israel, Großbritannien, Ungarn und Polen.

Für das GIDS, vertreten durch Oberst i.G. Prof. Dr. Matthias Rogg und Oberst i.G. Udo Dewies, bot sich die Gelegenheit, das strategische Netzwerk Wissenschaft und Sicherheitspolitik auszubauen und Möglichkeiten für zukünftige Formen der Zusammenarbeit auszuloten. Dazu gehörte auch ein Besuch beim Atatürk Center for Strategic Studies an der National Defence University of Istanbul, verbunden mit einem intensiven Austausch über Möglichkeiten zukünftiger Zusammenarbeit.

Die unter Chatham House Rules laufende Tagung ermöglichte eine offene, ehrliche und teilweise auch sehr engagierte Diskussion. Der inhaltliche Schwerpunkt der Tagung lag naturgemäß auf den außen- und sicherheitspolitischen Beziehungen Deutschlands und der Türkei. Mit Blick auf die herausragende Rolle der Türkei in der Region und die aktuelle sicherheitspolitische Lage wurde der Horizont mit Blick auf Syrien, geopolitische Aspekte sowie der Dynamik im östlichen Mittelmeerraum erweitert. Schließlich widmeten sich die letzten Panels den drängenden technischen Zukunftsfragen und ihren sicherheitspolitischen Implikationen. Den Höhepunkt bildete die Rede von Altbundespräsident Christian Wulff, der grundsätzlich und pointiert zum deutsch-türkischen Verhältnis Stellung nahm.

Flugabwehrraketensysteme

Neben den allgemeinen Fragen der Sicherheitsarchitektur in einer schon immer sehr komplizierten sicherheitspolitischen Region überlagerten mehrere aktuelle Probleme die Debatten. So wurde kontrovers über das Nachrüstungsprogramm der Türkei mit modernen Flugabwehrraketensystemen diskutiert. Dazu, ob man als NATO-Partner gut beraten ist, hier ausgerechnet mit China oder Russland ins Geschäft zu kommen, gab es ganz unterschiedliche Auffassungen. Sehr schnell wurde dabei klar, wie viel an einer Entscheidung für oder gegen das amerikanische System Patriot oder die russische S-400 hängt. Hier zeigte sich deutlich, dass Fragen der Bündnissolidarität und einer kohärenten NATO-Strategie durch nationale Alleingänge massiv gefährdet werden können – wobei auch die problematische Rolle der USA in den laufenden Verhandlungen klar benannt wurde.

Migration und Flüchtlinge

Auch das Thema Migrations- und Flüchtlingspolitik stand auf der Agenda. Seit 2015 hat die Türkei mindestens 3,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen (andere Zahlen gehen sogar von bis zu 5 Millionen aus) und im Vergleich zu Deutschland einen ganz eigenen Weg der Aufnahme und Integration gefunden. In den Diskussionen wurde einerseits das Defizit einer gemeinsamen Strategie der EU im Umgang mit Flüchtlingen deutlich – aber auch, dass jedes Asyl- und Einwanderungsgesetz auf einen gemeinsamen Lastenausgleich angelegt sein muss. Neue Mauern oder restriktive Grenzsysteme werden das Grundproblem auch in Zukunft nicht lösen können.

Transatlantische Sicherheit

In den Diskussionen über die Zukunft der transatlantischen Sicherheit wurde noch einmal das Ferment der Solidarität im Bündnis herausgestellt. Die teilweise irritierende Rhetorik der Trump-Administration und die damit verbundenen Unsicherheiten wurden sehr offen als Teil des Problems angesprochen. Von deutscher Seite verwiesen viele Tagungsteilnehmer auf die Verantwortung auch unseres Landes: „Germany must be a backbone of NATO.“ Dazu bedürfe es nicht zuletzt einer kohärenten Kommunikationsstrategie, um die eigene Öffentlichkeit von der Notwendigkeit eines starken deutschen sicherheits- und verteidigungspolitischen Engagements zu überzeugen.

Syrien und Iran

In den Diskussionen über den schwierigen Umgang mit Syrien und Iran wurde immer wieder eine deutlichere Positionierung Deutschlands und der EU gefordert. Viele Teilnehmer der Tagung wünschten sich eine deutlich stärkere Rolle Europas: „The EU as a player, not only as a payer.“ In den Gesprächen auf den Panels und im Hintergrund zeigte sich, wie enorm wichtig die Türkei und ihr Verhältnis zu Europa gerade in den aktuellen Nahostkonflikten ist, und dass Deutschland in diesem Zusammenhang eine zentrale Mittlerrolle zukommt. Die Behauptung, der Syrienkrieg wäre ganz anders verlaufen, wenn die Türkei Mitglied der EU gewesen wäre, mag nur eine Einzelmeinung gewesen sein. Sehr deutlich wurde in jedem Fall die Dringlichkeit nach klaren Signalen und verbindlichen Ideen im Umgang zwischen der Türkei und der EU artikuliert.

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„Zu spät, zu wenig, Dämonisierung“
Auf der Istanbul Security Conference der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Baskent University Center For Strategic Research gab Prof. Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität München dem GIDS eine Einschätzung zum Vorgehen der Europäer in Syrien.

Türkei: Gesellschaft und Politik

Die gegenwärtigen Probleme einer tief gespaltenen türkischen Gesellschaft, die Sorge vor einer populistisch agierenden Politik, die Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz und nicht zuletzt die Einschränkung der Meinungsfreiheit und der Umgang mit Minderheiten: All das wurde nicht unter den Teppich gekehrt. Zugleich war auf der gesamten Konferenz ein gemeinsamer Tenor zu hören: Die Türkei ist und bleibt ein enorm wichtiger Partner, ein Brückenbauer zwischen Europa und Asien, ein Land mit großem Potential und ein strategisch entscheidender Player im Nahen Osten. Der unbedingte Wunsch der überwältigenden Mehrheit der türkischen Bevölkerung, der EU beizutreten wurde von türkischer Seite mehr als deutlich herausgestellt. Der Weg dahin ist kompliziert und noch mit vielen Fragezeichen versehen, aber eines ist unbestritten: „Wichtig in schwierigen Zeiten ist vor allem Wertschätzung“.

Die nächste Istanbul Security Conference ist für 02. – 04.04.2020 geplant.

Autor: Matthias Rogg

Panels

Panel 1
EU‘s Demographic Challenge, Refugees and Migration: Impact on Social Stability and Border Security, Developing Preventive Policies and Strategies

Panel 2
The Future of the Trans-Atlantic Security and ist Effect on Global Security Affairs

Panel 3
Syria‘s Future: a Testing for Proxy Wars and Geopolitical Agenda of Neighbours and Others or a Stable, Secular and Unified Nation?

Panel 4
The New Geopolitics and Dynamics at the East Mediterranean Region: Risks and Opportunities

Panel 5
The Future of Warfare, New Technologies and Tactics in the Context of Hybrid and Proxy Wars – Are Western Democratic States able to effectively confront Hybrid or Prox Supervision and the Rise of Extremism

Panel 6
Rise of Technology and the Fall of Usual Threats. Cyber Warfare and Cyber Security