Polio-Ausrottung: Das letzte entscheidende Prozent

Sicherheit und Zugang erschweren Ausrottung

Autor: Christian Haggenmiller

Foto: ©Bundeswehr/Rott

In den letzten 30 Jahren hat der weltweite Kampf gegen Poliomyelitis (Kinderlähmung) große Erfolge gezeigt. Noch in den 80er Jahren gab es jährlich über 300.000 erkrankte Kinder in 125 Ländern. Durch die „Global Polio Eradication Initiative“ (GPEI) konnte die durch Polioviren übertragene Infektionskrankheit zu 99 Prozent ausgemerzt werden. Weltweit werden jährlich nur noch rund 30 Fälle festgestellt. Jetzt gelten alle Anstrengungen diesem letzten einen Prozent der Ansteckungen, um die endgültige Ausrottung der Krankheit zu erreichen.

Diese Aufgabe ist umso schwieriger, als die noch vorkommenden Infektionen ausgerechnet in den konflikt-geschüttelten, teils sehr unzugänglichen Krisengebieten auftreten. Nigeria, als eines der drei noch verbleibenden Polio-Länder, weist seit zwei Jahren keine neuen Infektionen auf – und ist damit auf dem besten Weg ist, poliofrei zu werden. Anders sieht es in Afghanistan und Pakistan aus, wo in einigen Regionen Polio-Infektionen weiterhin auftreten.

Alles oder nichts

Die Ausrottung von Polio hängt von einer Durchimpfung aller Kinder ab. So ist der signifikante Rückgang der Infektionen auf circa 30 Polio-Fälle in 2018 zwar sehr erfreulich – aber auch frustrierend, da die Anzahl der Infizierten auf dem niedrigen Niveau stagniert und sich das Ziel, die Polio-Ausrottung, trotz der enormen Anstrengungen der GPEI-Kampagne erneut nach hinten verschiebt.

Die Gründe für die „verzögerte“ Ausrottung sind vielfältig. So wurden in der Vergangenheit Impfteams in diesen Regionen bedroht und auch getötet, weshalb aus Sicherheitsgründen, Impfungen hintenan stehen mussten. Auch mangelndes Vertrauen gegenüber den ursprünglich westlich-dominierten Impfkampagnen sowie kulturelle Aspekte in den strengreligiösen Gemeinschaften erschweren den Zugang zu den ungeimpften Kindern. Hinzu kommen die zahlreichen Grenzgänger, also Familien, die sich über die Grenze hinweg zwischen Afghanistan und Pakistan bewegen und deshalb von den Impfteams nicht erfasst werden.
Wie kann unter diesen Umständen eine Welt ohne Kinderlähmung entstehen? Welche Rolle könnten oder sollten dabei Sicherheitsakteure wie die NATO und die mit Einsatztruppen in den Krisenregionen vertretenen Nationen spielen?

Beim parlamentarischen Frühstück der Rotary-Initiative „End Polio Now“ im Bundestag in Berlin beschäftigten sich die Gäste mit diesen und anderen Fragen, zu dem Dr. Christian Haggenmiller (Gesundheits- und Sicherheitsforschungskoordinator im GIDS) mit einem Kurzvortrag Impulse geben konnte. Das 2016 von Rotary International gegründete Gremium informiert Mitglieder des Bundestages und Mitarbeiter der Ministerien über Fortschritte im Kampf gegen die Kinderlähmung.

Haggenmiller, der auch Mitglied im unabhängigen internationalen und interdisziplinären Netzwerk „Global Health Security Alliance“ ist, warb für mehr „strategische Geduld, obwohl das Ziel so nah scheint“.

Er hielt es nicht für ausgeschlossen, jedoch für fraglich, dass Militär – national wie international – ein geeigneter Kooperationspartner auf den letzten Metern der Poliomyelitis-Ausrottung sei. Die Erfahrungen aus Einsätzen in Krisengebieten hätten gezeigt, dass direkte und militärische Unterstützung von Impfaktionen kontraproduktiv seien und das notwendige Vertrauen der Zivilbevölkerung in die Maßnahmen untergrabe. Daraus habe auch die NATO ihre Konsequenzen gezogen und früheres direktes Engagement bei solchen Hilfsaktionen eingestellt. Jedoch könnten, internationale Einsatzkräfte mit ihren speziellen Kenntnissen (Informationen zu Sicherheit und Infrastrukturen) und Fähigkeiten (Erhebung von Umweltdaten, Labor) die Initiative passiv unterstützen.

Die Berichte aus konkreter Einsatzerfahrung – verbunden mit fundierter medizinischer Expertise – stießen bei den Mitgliedern des Bundestags-Gremiums und auch bei Dr. Ekkehart Pandel von Rotary International auf großes Interesse. „Wir werden in unserem Bemühen, Polio komplett auszurotten, nicht nachlassen“, betonte der Kinderarzt, der sich als Vorstandsmitglied der German Rotary Volunteer Doctors e.V. seit vielen Jahren für die Initiative engagiert. Das letzte Prozent dieser Infektionen auszumerzen, sei zwar extrem schwierig, aber die Lösung liege weiterhin in einem gemeinschaftlichen Ansatz.

Auch die zivilen internationalen Gremien müssten ihre Anstrengungen nochmal verstärken und noch besser koordinieren, um dieses Ziel zu erreichen, konstatierte ebenfalls Judith Soentgen, Referentin für Entwicklungszusammenarbeit in der ständigen Vertretung Deutschlands bei den Vereinten Nationen in Genf.

Dr. Georg Kippels, MdB und Vorsitzender des parlamentarischen Gesprächskreises, betonte die hohe Relevanz des Ziels, Kinderlähmung auszurotten. Er sicherte der Initiative weiter die volle Unterstützung der Parlamentarier zu.