Weichenstellung mit wirksamen Werkzeugen
10. Forum Zukunftsorientierte Steuerung diskutiert Strategien und Simulationen
#GIDSnews | 17. März 2021 | Autor: Mario Assmann | Foto: Bundeswehr
Wie lassen sich mit Simulationen strategische Entscheidungen fundiert treffen? Dieser Frage ist jetzt das 10. Forum Zukunftsorientierte Steuerung nachgegangen. Vorträge von Experten aus Wirtschaft, Militär und Wissenschaft lieferten die Impulse. Die Idee: „Wir bündeln die Expertise verschiedener Disziplinen und können so voneinander lernen“, sagte Professor Dr. Matthias Meyer, Leiter des Instituts für Controlling und Simulation an der Technischen Universität Hamburg (TUHH). Gemeinsam mit dem German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS) und der Firma Spitzner Consulting hatte die TUHH zu der Onlinetagung eingeladen.
Aus dem Blickwinkel der Gewaltgeschichte näherte sich Oberst i.G. Professor Dr. Matthias Rogg dem Thema. Der Militärhistoriker und GIDS-Vorstand analysierte die deutschen strategischen Fehler im Verlauf des Zweiten Weltkriegs. Auffälligstes Momentum laut Rogg: das Fehlen einer durchgängigen strategischen Konzeption. Gepaart mit Wunschdenken, Selbstüberschätzung, irrationalen Entscheidungen und Ignoranz gegenüber der Ressourcenknappheit habe dies fatale Konsequenzen nach sich gezogen: „Der Wille zum Sieg sollte über das Wissen um die Grenzen der eigenen Möglichkeiten triumphieren.“ Stellvertretend für die Konzeptionslosigkeit stehe das Scheitern im Winter 1941 vor Moskau, 1942 vor Stalingrad und 1943 in Nordafrika.
Stäbe und Scheuklappen
Aus dem historischen Beispiel zog Rogg drei Lehren, vor allem im Vergleich mit den Alliierten. Erstens: Strategische Entscheidungen, die auf Fakten und idealerweise wissenschaftlichen Methoden beruhen, erweisen sich als überlegen. Zweitens: Strategische Entscheidungen hängen maßgeblich vom kulturellen Umfeld und dem Mindset ab, gegebenenfalls also auch von ideologischen Scheuklappen. Drittens: Strategische Entscheidungen, erarbeitet durch klug organisierte Stäbe, sind den raschen Entschlüssen einer vermeintlich genialen Einzelperson vorzuziehen. Eine fundierte Analyse benötige eben ihre Zeit. Gerade Politiker und Militärs mit Hang zur übereilten Entscheidungsfindung „können aus der Geschichte eine Menge lernen“, schloss Rogg, von 2010 bis 2017 Gründungsdirektor des Militärhistorischen Museums in Dresden.
Philip Sabin, emeritierter Professor für Strategische Studien am King’s College in London, beleuchtete den Nutzen des Wargamings. Bei dieser Simulationsform für Militär und Wirtschaft handelt es sich um komplexe Rollenspiele mit interagierenden Konfliktparteien. Die Spieler experimentieren und kommen zu neuen Erkenntnissen, ohne dass auch nur ein Schuss fällt, ohne dass ein reales Unternehmen zugrunde geht. Irren ist im Wargaming ausdrücklich erlaubt. Da alle Beteiligten lernten, Chancen zu maximieren und Verluste zu minimieren, „gibt es keine Verlierer, nur Gewinner“, betonte Sabin. Damit aber das Wargaming seine Relevanz behalte, müsse eine immer kompliziertere Realität auf ein spielbares Modell heruntergebrochen werden. Gelingt dies, bliebe Wargaming „ein leistungsstarkes Werkzeug“ zur Vermeidung möglicher Fehler.
Strukturbruch als Treibsatz
Wie ein unerwartetes Ereignis, in diesem Fall Covid-19, Prognosen aushebeln, aber auch Entwicklungsschritte beschleunigen kann, zeigte Fabian von Gleich, Abteilungsleiter Strategie und Entwicklung bei Airbus Operations in Hamburg. Demnach ging der Konzern im Jahr 2019 von einem exponentiellen Wachstum und nur temporär anhaltenden Krisen aus. Die Grundlage hierfür bildeten eine Simulation mit zurückliegenden Daten sowie die Berechnung verschiedener Variablen, etwa des Ölpreises. Dass dann der Flugverkehr 2020 zeitweilig um mehr als 90 Prozent gegenüber dem Vorjahr einbrach, habe zum Handeln gezwungen. Am Standort Hamburg-Finkenwerder seien etwa die Personal- und Produktionskapazitäten angepasst, die Logistikkette optimiert und die Innovationskraft durch die Bereiche Wasserstofftechnologie und Elektrisches Fliegen gestärkt worden. „Die Beherrschung und Stärkung universeller Erfolgsfaktoren ist vor, während und nach der Krise essenziell“, folgerte der Manager und Oberst der Reserve.
Unabhängig von der Coronapandemie macht Professor Dr. Fredmund Malik eine tiefgreifende System- und Kontrollkrise aus. Wirtschaft und Gesellschaft stünden einem gewaltigen Paradigmenwechsel gegenüber, wie er sich nur alle rund 200 Jahre vollziehe. Diese Umwandlung, von dem österreichischen Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmer Malik als „Große Transformation 21“ bezeichnet, erfordere eine Strategie für das Management komplexer Systeme. Entscheidend sei, die Einzelbausteine richtig zusammenzuführen, ähnlich der Aufgabe eines Dirigenten: Sind seine Instrumentalisten nacheinander zu hören, „haben wir keine Ahnung, worum es geht. Aber bei gekonntem Zusammenspiel wird Beethoven zu einem Erlebnis.“ Im Fall von Unternehmen und anderen dynamischen Systemen, etwa Kommunalverwaltungen, könnten kybernetische Methoden die relevanten Informationen verarbeiten – und vor allem zielgerichtet lenken, sagte Malik vor den 200 Tagungsgästen, darunter Studierende der TUHH sowie Teilnehmende des Lehrgangs General- und Admiralstabsdienst National an der Führungsakademie der Bundeswehr.
Das diesjährige Forum Zukunftsorientierte Steuerung unterstrich einmal mehr: Simulationen sind für Führungsentscheidungen in komplexen Systemen von herausragender Bedeutung. Als weiterführende Lektüre empfiehlt sich das vorab geführte Interview mit Professor em. Dr. Philip Sabin unter gids-hamburg.de/die-kristallkugel-wargaming/