Alle für eine oder eine für alle – wie soll sich Europa verteidigen?

#GIDSdebate | 8. Januar 2022 | Autorin: Dr. Victoria Eicker | Foto: Bundeswehr / Yannick Prud’homme

Zwei Ideen dominieren die Diskussion um die Verteidigung Europas: Die einer Armee der Europäer und die einer Europäischen Armee. Hinter diesen Ideen steht der alte Gegensatz zwischen einem zentralen und einem dezentralen Ansatz der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Unter ökonomischen Aspekten haben beide Systeme Vor- und Nachteile. Hierüber referierte Oberstleutnant der Reserve Dr. Wolfgang Müller, wissenschaftlicher Mitarbeiter am GIDS, in der vergangenen #GIDSdebate.

Im politischen Raum sei es keine neue Diskussion: „Die Forderung nach einer „gemeinsamen Verteidigungspolitik der Union“ oder die einer „funktionierenden Europäischen Verteidigungsunion“ bestimmt  die politische Debatte schon seit geraumer Zeit“, sagte Oberstleutnant Müller. Aus ökonomischer Sicht würden verschiedene Gesichtspunkte für beziehungsweise gegen beides sprechen. Eine Europäische Armee als 28te Armee eines föderalistisch organisierten, intergouvernementalen Europas oder die Arme der Europäer als Allianz nationaler Armeen und Schlagarm der zentral organisierten supranationalen Vereinigten Staaten von Europa – was spricht dafür, was dagegen, und wo lässt sich die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit von EU-Mitgliedstaaten im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, kurz PESCO, verorten?

PESCO als vielversprechende Weiterentwicklung der Verteidigungspolitik

Zunächst, stellte Müller fest, sei Verteidigung ein öffentliches Gut, insofern obliege es nicht den Marktgesetzen wie private Güter. Bei Verteidigung sei eine Setzung notwendig, erklärte der Experte und führte die jeweiligen Vor- und Nachteile aus Sicht der Ökonomie aus: Bei der Europäischen Verteidigung sind dies die Vermeidung von Spill-Overs beziehungsweise ist es die Notwendigkeit einer finanziellen Äquivalenz – da Nutzen und Kosten nicht bei denselben Akteuren liegen, was die Frustrationskosten erhöht – sowie eine Kostenreduzierung und der Wegfall des Koordinierungszwangs. Eine Armee der Europäer hätte die Vorteile, dass man individuelle Präferenzen berücksichtigen könnte, die Innovationsfähigkeit erhalten würde und den Wettbewerb sowie die Kosten besser „fühlen“ könnte. Als eine Schwachstelle erkannte der Wissenschaftler die fehlenden Sanktionsmechanismen, denn diese würden die Frustrationskosten in die Höhe treiben, sollten sich einige Mitgliedstaaten an Verabredungen nicht halten.

„Die Existenz von PESCO ist allerdings ein vielversprechender Punkt in dem Diskurs“; sagte Müller. An PESCO seien nur die Mitgliedsstaaten beteiligt, die sich explizit dazu entschieden und verpflichtet hätten. Es sei sozusagen eine „Koalition der Willigen“. Hier entscheide eine Mehrheit über Projekte und hier herrsche nicht wie bei Verteidigungsfragen in der Europäischen Union das Einstimmigkeitsprinzip vor. Die Frustrationskosten würden in diesem Fall sinken, da man auf die Präferenzen der einzelnen beteiligten Mitgliedstaaten besser eingehen könne. Zudem biete PESCO auch Sanktionsmöglichkeiten durch einen erzwungenen Ausschluss – auch das senke die Frustrationskosten. „Insgesamt kann PESCO als vielversprechende Weiterentwicklung des verteidigungspolitischen Status-Quo in Europa betrachtet werden, weil es die Kosten des dezentralisierten Ansatzes senkt, ohne dass rechtliche und politische Konstellationen zu sehr angepasst werden müssen“, so Müller abschließend.

#GIDSdebate bringt Wissenschaftler, Offiziere, Unternehmer und Behördenvertreter zusammen. Das Forum am dritten Mittwoch eines Monats umfasst jeweils ein Impulsreferat durch eine Expertin oder einen Experten, eine 30-minütige Diskussion und die Gelegenheit zum Netzwerken. Derzeit wird #GIDSdebate als hybrides Format veranstaltet, so auch am 16. Februar 2022. Dann trägt Julian Pawlak zum Thema: „Zwischen Bündnisverteidigung und Bastionvor. Weitere Informationen sind per E-Mail an buero@gids-hamburg.de erhältlich.