Hybrid Warfare – It’s not Gerassimow
GIDS Vortrag beim DWT Forum „Informationstechnik im Kontext hybrider Bedrohungen“ in Bonn
Autor: Redaktion GIDS
#GIDSnews I 14. Dezember 2018
Als der Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte General Valery Gerassimow 2013 in der eher allgemeinen russischen Militärzeitung Militärisch industrieller Kurier, einen Zeitungsartikel mit dem Titel „The value of science lies in the forecast“ veröffentlichte, war nicht absehbar, dass dieser Artikel das westliche Militärdenken von Grund auf erschüttern könnte. Der Westen wurde unmittelbar nach den Erfahrungen des vermeintlich perfekten Krieges zu Beginn des Irakkrieges von der alten Weisheit eingeholt, dass ein Schlachtgewinn in der Regel nicht zu einem Kriegsgewinn führt und dass der Krieg von morgen meist wenig mit dem Krieg von gestern zu tun hat.
In den 2000er Jahren mussten binnen Kürze gänzlich neue Strategien zum Umgang mit Aufständischen im Irak und Afghanistan (Counter Insurgency) entwickelt werden, deren Erfolg sich meist nur in der Verminderung eigener Verluste zeigte. Diese führten aber weder im Irak noch in Afghanistan zum Sieg, sondern schufen in der Folge auch noch das Vakuum, das den Islamischen Staat entstehen ließ.
Die Ereignisse in der Ukraine 2014 führten dazu, dass westliche Analysten Gerassimows Artikel näher betrachteten und daraus eine vermeintlich neue Doktrin und dann eine neue Form der Kriegsführung – Hybride Kriegsführung – ableiteten.
Oberst i.G. Sönke Marahrens, Leiter wissenschaftliche Programme des GIDS, argumentierte auf dem DWT Forum „Informationstechnik im Kontext hybrider Bedrohungen“ am 11. Dezember 2018 in Bonn, dass dem nicht so ist. Sein Vortrag basiert auf einem Paper, das während seiner Teilnahme am kanadischen National Security Programs entstand. Ein Vergleich des Artikels von General Gerassimow mit den westlichen Veröffentlichungen in den 2000er Jahren zu Network Centric Warfare, Effects Based Approach to Operations und Comprehensive Approach zeige, dass die russischen Streitkräfte im Wesentlichen nur das kopierten und anwendeten, was im Internet zu finden war.
Ein Umstand, den General Gerassimow im Übrigen in seinem Artikel auch konkret kritisiert. Neu an der russischen Umsetzung war nur, dass die Russen die genannten Konzepte auch offensiv einsetzten und die vorher bestehende Gewaltschwelle der UN Charta (Art 2 (4) und Art 51) peu a peu aufweichen.
Da sich die westlichen Regierungen diesem Prozess nicht entgegenstellten, konnten die Russen in der Ukraine einen Erfolg nach dem anderen einfahren – wobei hier Erfolg neu definiert wurde: Nicht Sieg, sondern Chaos und Instabilität werden zum neuen Maßstab. Darüber hinaus wird Krieg durch die Nutzung des Cyberspace entgrenzt. Vormals bestehende Sanktuarien wie der Zusammenhalt der Bevölkerung sind auf einmal konkret und konsequent bedrohbar, adressierbar und zerstörbar. Aber auch hier gilt laut Oberst Marahrens: Nichts davon ist neu oder hybrid. Der Autor befürchtet sogar, dass durch die begriffliche Umwidmung wertvolle Zeit verloren wurde, in dem, anstatt Counter Strategien zu entwickeln, sich die Militärdenker in neuen Begriffsdefinitionen verstrickten.