Sicht auf Südamerika bedarf der Anpassung

Fregattenkapitän Dr. André Pecher erläutert Potenzial für deutsche Sicherheitspolitik

#GIDSdebate I 3. Juli 2023 I Autor: Christian Lauw I Foto: Alberto Orbegoso

Am Tag des kalendarischen Sommeranfangs war in Hamburg die jüngste #GIDSdebate zu erleben. In der Generalleutnant-Graf-von-Baudissin-Kaserne fanden sich knapp 25 Besucher zum Impuls von Fregattenkapitän Dr. André Pecher ein. Sein Thema: Der globale Süden – sicherheitspolitische Potenziale für Deutschland am Beispiel Südamerikas.

Fregattenkapitän Dr. Pecher, stellvertretender Leiter Forschung des GIDS und ehemaliger Verteidigungsattaché in Peru, Venezuela und Panama, warb für einen Perspektivwechsel. Deutschland habe einen allzu euro-zentristischen Blick; Südamerika, 70 Prozent größer
als Europa, werde zu wenig betrachtet.

Brasilien beispielsweise habe sich den BRICS-Staaten nicht deshalb angeschlossen, weil es mit Russland und China eine enge Partnerschaft verbinde, sondern weil es Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins angesichts seiner Größe und wirtschaftlichen Potenz sei. Das Engagement Brasiliens sei vom Westen allzu oft enttäuscht worden. Dies habe sich insbesondere beim Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz im vergangenen Januar und bei der Südamerikareise von Außenministerin Annalena Baerbock im Juni dieses Jahres gezeigt.

Darüber hinaus sei es wichtig zu verstehen, dass das Militär in Südamerika mit zahlreichen Aufgaben im Inneren befasst sei. Es leiste dabei wichtige Beiträge für die logistische Versorgung der Bevölkerungen und fungiere in den jeweiligen Ländern als ordnungspolitischer Faktor. Dies betreffe unter anderem die Bekämpfung der illegalen Abholzung, des illegalen Bergbaus, des transnationalen Drogenhandels, aber auch den Schutz der Ureinwohner des Regenwaldes und den Kampf gegen die illegale, unregulierte und ungemeldete (IUU) Fischerei. Ebenso seien die Streitkräfte stark in den Katastrophenschutz eingebunden. Diese Themenfelder könnten in der deutschen Militärpolitik leider nicht adäquat adressiert werden, obwohl eine Unterstützung geboten sei.

An der IUU-Fischerei beteilige sich insbesondere die chinesische Fischereiflotte. China sei aber eben auch bedeutender Abnehmer südamerikanischer Produkte. Daraus ergebe sich durchaus ein Spannungsfeld geopolitischen Ausmaßes: Die Wahrung nationaler Interessen sei durch einseitige Abhängigkeitsverhältnisse besonders gefährdet. Andererseits seien Gerät und Fahrzeuge südamerikanischer Streitkräfte meist stark veraltet. Hier biete sich die Gelegenheit, technologische Hilfe anzubieten, um den chinesischen Aktivitäten etwas entgegenzusetzen.

Die Folgerung: Europa müsse Südamerika ernster nehmen – viel mehr als bisher, um dort glaubwürdig auftreten zu können. Der Westen benötige Südamerika und sollte deshalb zuhören, Bedürfnisse erkennen, den Staaten Lateinamerikas attraktive Angebote unterbreiten und, wo möglich, helfen. Die entsprechende Sicherheitspolitik müsse multidimensional und ressortübergreifend angelegt sein.

Die Veranstaltungsreihe #GIDSdebate bringt Wissenschaftler, Offiziere, Unternehmer und Behördenvertreter zusammen. Das Forum am dritten Mittwoch eines jeden Monats umfasst ein Impulsreferat, eine 30-minütige Diskussion und die Gelegenheit zum informellen Austausch. Bitte beachten Sie: Die nächste #GIDSdebate findet am 16. August 2023 um 17 Uhr statt. Für Interessenten, die nicht der Führungsakademie der Bundeswehr angehören, ist eine Anmeldung unter fueakbwgids@bundeswehr.org erforderlich.
Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme!