Zur Ethik politischer Gewalt

Normative Fragen strategischer Kultur und die Zukunft der liberalen Weltordnung – Tagung vom 05.-06. März 2019

Die Frage der Legalität und Legitimation der Projektion politischer Gewalt stand auf der zweitägigen GIDS-Tagung „Ethik politischer Gewalt“ im Mittelpunkt. In einem interdisziplinären Format und in aktivem Austausch diskutierten Expert/innen aus den Bereichen Internationale Beziehungen, Politische Philosophie und Theologie sowie Völkerrecht mit Dozentinnen mit Dozenten der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Eröffnet wurde die Tagung von Brigadegeneral Boris Nannt, Direktor Strategie & Fakultäten an der Führungsakademie der Bundeswehr, Oberst Prof. Dr. Matthias Rogg, Vorstand des GIDS, sowie Militärdekan Dr. Hartwig von Schubert, Evangelisches Militärpfarramt Hamburg II.

Gewalt differenziert betrachten

Was legitimiert Gewalt und warum gibt es eine institutionelle Gewalt? Mit diesen Fragen näherte sich Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig, Universität Passau, als erste Referentin aus philosophischer Perspektive dem Tagungsthema.

Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig

Grundsätzlich werde Gewalt als „dem Menschen nicht gemäßes Ausdrucksmittel“ geächtet, obwohl Gewalt „augenscheinlich, wenn auch nur schwer zu beweisen“, eine anthropologische Konstante habe. Der Mensch könne Konflikte mit seinesgleichen durch Sprache regeln. Dennoch werde Gewalt in bestimmten Fällen als legitim erachtet, etwa bei Selbsterhaltung, Notwehr und Gefahrenabwehr – und sei deshalb nicht per se schlecht.

Wie aber steht es bei einem menschenverachtendem System und seinem Recht auf Selbstverteidigung, wenn sein Gegner die Menschenrechte achte? Zehnpfennig zeigte hier ein moralisches Dilemma auf: durch Handeln, weil Krieg grundsätzlich moralisch geächtet sei, ebenso wie durch Unterlassen. „Deshalb bedarf es einer sorgfältigen Güterabwägung und einer Vergewisserung der dabei zu verwendenden Maßstäbe.“ Im Namen von Weltanschauungen oder Ideologien würde Gewalt immer wieder als Notwendigkeit für eine „höhere Sache“ legitimiert. Am Beispiel des Tyrannenmordes, exemplarisch beim Attentat auf Hitler, werde andererseits deutlich, dass die Verteidigung höherer Ideale den Einsatz von Gewalt geradezu notwendig mache. „Wenn die Selbsterhaltung als legitim gilt, dann kann es kein absolutes Tötungsverbot geben.“

Wenn die Selbsterhaltung als legitim gilt, dann kann es kein absolutes Tötungsverbot geben.“

(Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig

Individueller Verzicht zugunsten institutioneller Gewalt

In modernen Gesellschaften liege das Gewaltmonopol beim Staat. Im Gesellschaftsvertrag, so die Politikwissenschaftlerin, verzichte das Individuum auf „sein natürliches Recht“ zum Selbsterhalt und erhielte im Gegenzug Schutz durch den Staat: den Rechtsstaat mit seiner „domestizierten Gewalt“ in Form der Gewaltenteilung, die eine zu starke Ermächtigung des Staates verhindern solle. Der Staat wiederum dürfe zum Schutz des Rechts manchmal auch Gewalt einsetzen. „Sie ist legalisiert, womit ihre Legitimität vorausgesetzt ist“. Sowohl polizeilich als Teil der Exekutive (Stichworte Kriminalität oder Extremismus) als auch militärisch (zum Schutz der staatlichen Souveränität).

Militärische Gewalt sei ein legitimes Mittel der Politik, wobei sich die Gründe für die Legitimation von Gewalt im Laufe der Zeit verändert hatten, nämlich weg von der transzendentalen Begründung eines vom Christentum über viele Jahrhunderte propagierten „gerechten Krieges“ hin zu einem auf Verträgen basierenden Ordnungs- und Rechtssystem (nach Thomas Hobbes).

Religiös begründete Werte als Grundlage des Staates, fänden, immer seltener gesellschaftliche Akzeptanz und würden zunehmend als Angriff auf die eigene Freiheit gewertet. Diese „Hyperindividualisierung“ zu Ungunsten des gemeinschaftlichen Wohlergehens sei nach ihrer Auffassung problematisch: „Eine fundierte Ethik der politischen Gewalt steht noch aus.“

Aktuelle Herausforderungen des Völkerrechts

Prof. Dr. Stefan Oeter

In die „ Niederungen internationaler Politik“ begab sich Prof. Dr. Stefan Oeter, Universität Hamburg, in seinem Vortrag „Aktuelle Herausforderungen des Völkerrechts“ in dem er einen großen Rahmen setzte: die Krisen des Multilateralismus sowie der multilateralen Weltordnung, die Tendenz der Großmächte, Recht als eine „instrumentelle Kategorie zu nutzen“ und deren Weigerung eines „Peace Through Law“.

„Problemzone UN-Sicherheitsrat“

Dem UN-Sicherheitsrat käme durch deren Mandatierung präventiven Eingreifens einerseits die „Hauptsorge für den internationalen Frieden“ zu, andererseits sei der Sicherheitsrat die „Problemzone des Systems“. Die privilegierte Stellung der fünf ständigen Mitglieder (P5) mit ihrem Vetorecht beeinträchtigten „massiv das Funktionieren der zentralen Regeln zur Einhegung von Gewalt“.

Ein neues Ruanda oder Bosnien könnte heute wieder passieren.“

Prof. Dr. Stefan Oeter

Immer weniger sei die Bereitschaft zu einem innerstaatlichen Eingreifen da. Über den Umgang mit der Responsibility to Protect (R2P) herrsche innerhalb des Sicherheitsrates kein Konsens, was die Staatengemeinschaft partiell handlungsunfähig mache. „Ein neues Ruanda oder Bosnien könnte heute wieder passieren“, konstatierte der Völkerrechtler.

Andererseits gebe es die Entwicklung hin zu robustem Peacekeeping, meist gekoppelt mit einem Protection-of-Civilians-Mandat. Diese Handlungsoption habe immer dann Chancen, wenn die P5 und Regierungen in den Zielländern nicht direkt betroffen seien. Globales Peacekeeping würden fast ausschließlich die Länder des Globalen Südens betreiben, wobei China und Indien eine wichtige Rolle spielten, während die USA und Russland als „Totalausfälle“ bezeichnet werden müssten. Die Streitkräfte Europas hätten mit finanziellen und personellen Knappheiten zu kämpfen. Außerdem habe sich der Fokus auf die kollektive Selbstverteidigung verschoben. Oeters Forderung: „Streitkräfte brauchen wieder mehr Ressourcen, sollen sie ihre Aufgabe wahrnehmen.“

Fortschreibung des Völkerrechts

Das Völkerrecht (VR) verfüge zwar über einen Korpus an Regelungen, aber die Compliance Control fehle. Verbesserungsvorschläge scheiterten am Widerwillen großer Militärmächte und einzelner Drittweltstaaten und dem Desinteresse der Öffentlichkeit. Unzureichende VR-Standards für nicht-internationale Konflikte würden oft durch Gewohnheitsrecht kompensiert. Dazu gehöre auch die schwieriger gewordene Abgrenzung des Kombattantenstatus. Das Missachten des VR bliebe folgenlos. Dessen Fortschreibung sei zwar nötig, aber realpolitisch betrachtet „utopisch“. Für nicht-staatliche Gewaltakteure ohne Kombattantenprivileg bestehe auch nicht der Anreiz zur Einhaltung von Regeln.

„Würde man heute die Völkerrechtsverträge neu verhandeln, wäre das Ergebnisniveau niedriger als jetzt.“
(Prof. Dr. Stefan Oeter)

Insgesamt stellte der Völkerrechtler unter anderem „eine mangelnde Verantwortungsbereitschaft der Staaten allgemein“ fest. „Würde man heute die Völkerrechtsverträge neu verhandeln, wäre das Ergebnisniveau niedriger als jetzt.“ Realistisch sei die Stärkung der Strukturen kollektiver Selbstverteidigung, zum Beispiel der Afrikanische Union, die sehr gut funktioniere. Ohnehin bestehe ein hohes Interesse an der Entwicklung und Festigung regionaler Strukturen. Allerdings stehe die kollektive Selbstverteidigung gegenüber nicht-staatlichen Akteuren auf völkerrechtlich „sehr dünnem Eis“.

„Irrelevanz des Völkerrechts“

Prof. Dr. Joachim Krause

Der nächste Referent Prof. Dr. Joachim Krause, Universität Kiel, eröffnete seien Vortrag mit der provozierenden Frage, ob mehr als 70 Jahre Frieden in Europa auf dem Völkerrecht basierten. Sein vorweggenommenes Resümee fiel ernüchternd aus, denn angesichts der Großmächtepolitik müsse man eine „Irrelevanz des Völkerrechts“ konstatieren. Gleichwohl habe die internationale liberale Ordnung mehr als 70 Jahre für Frieden in Europa gesorgt.

Internationale liberale Ordnung

Diese sei in der Nachkriegszeit unter der amerikanischen Hegemonie entstanden, basierend auf einer Wirtschafts- und Finanzordnung, einem Währungssystem und multinationalen Beziehungen und der innenpolitischen Beruhigung der Staaten durch ihre Entwicklung zu Sozialstaaten. Das sei ein eigenständiger Beitrag der Europäer auf Initiative der USA gewesen. Der Charakter internationaler Beziehungen sei nicht anarchisch-konfrontativ, sondern kooperativ-integrativ ausgerichtet worden, auch gegenüber der damaligen UdSSR, und habe zu einem „enormen“ wirtschaftlichen Aufschwung durch globales Handeln und Arbeitsteilung mit einer Stärkung der Schwellenländer geführt.

Ein zentraler Punkt der internationalen liberalen Ordnung sollte ein System kollektiver Sicherheit durch ein Gewaltverbot sein. „Das hat nur in wenigen Fällen funktioniert“, so der Politikwissenschaftler, und dann jedoch stabilisierende multi- und bilaterale Beziehungen hervorgebracht. Außerhalb dieser Strukturen hätten dennoch bewaffnete Konflikte und auch Völkermorde stattgefunden, weshalb die USA international eine „Wächterfunktion“ übernahm. Die USA waren dazu militärisch in der Lage, gesellschaftlich-zivilisatorisch dominant und bereit, innerhalb ihrer Koalitionen einzustehen. Trotz Fehlentscheidungen hätten „die USA vieles richtig gemacht“, meinte der Politikwissenschaftler. Ohne diese Entwicklung, „wäre die Welt heute anders“ vielleicht mit einer „Anarchie wie in den 30er Jahren.“

Eine reale Gefahr ist die Kriegsgefahr in Europa“

Prof. Dr. Joachim Krause

Die Bereitschaft der USA, diese Wächterfunktion weiterzuführen, nehme jedoch ab. Weltweit sinke das gesellschaftliche Gewicht und damit der gemeinsame Konsens, ebenso die Wirtschaftsleistungen der OSZE-Staaten und durch die hohe Verschuldung der USA deren Fähigkeiten, weiterhin die Wächterfunktion aufrechtzuerhalten. US-Präsident Donald Trump fehle zudem das Verständnis für die Bedeutung dieser Aufgabe. Die neuen Großmächte Russland, China und der Iran lehnten die westliche Ordnung hingegen ab und unterminierten sie.

Zunehmende Anarchie und Kriegsgefahr

Krauses Kritik an der Politik war deutlich. Anstatt sich mit den Folgen der sich verändernden Machtverhältnisse auseinanderzusetzen, beschäftige sich diese mit „eingebildeten Gefahren“, wie den Ängsten vor einem Rüstungswettlauf, neuen Technologien und dem Ende des Multilateralismus.

„Eine reale Gefahr ist die Kriegsgefahr in Europa“, lautete das zentrale Statement des Politikwissenschaftlers. „Russland hat den Konflikt angesagt.“ Entsprechend seiner Militärdoktrin könnte Russland kleinere und größere Kriege innerhalb Europas anzetteln, etwa die baltischen Staaten oder die ganze Ukraine besetzen, mit dem Ziel, die internationale westliche Ordnung mit der EU und NATO zu zerstören, was fatale Folgen für Deutschland hätte. Unter anderem würde die geographische Lage Deutschland wieder zu einem Spielball fremder Mächte machen.

Weitere potentielle Krisen- und Kriegsgefahren machte Krause in den China-USA-Beziehungen aus, sollte China versuchen, Taiwan zu okkupieren. „700-800.000 Soldaten wären dann involviert“, rechnete er vor. „Mehr als latent“ sei die Kriegsgefahr zwischen Iran auf der einen sowie Israel und die arabischen Staaten auf der anderen Seite – mit dem potentiellen Einsatz von Kernwaffen.

Der Politik fehle es an einem strategischen Ansatz. Vielmehr gehe sie von einer Harmonisierbarkeit der Herausforderungen aus und verfolge einen „therapeutischen Ansatz“. Krause riet dazu, „destruktiver zu denken“. Sein Fazit: „Es ist möglich, dass es wieder Krieg gibt.“

Jahrzehntelange Abrüstung im Westen

„Auffällig ist, wie der Diskurs über Gewalt in Deutschland verrechtlicht wird”, sagte zu Beginn seines Vortrages Dr. Bastian Giegerich vom International Institute for Strategic Studies in London. In der Politik werde zwar über die vielfältigen Bedrohungslagen diskutiert, „aber das spiegelt sich nicht im Budget wieder.“

Dr. Bastian Giegerich

Grafisch stellte er dar, dass viele NATO-Staaten seit Beginn der 80er Jahre ihre Verteidigungsausgaben kontinuierlich senkten. Deutschland beispielsweise von 2,7 Prozent seines BIPs (1980) auf 1,1 % (2015). „Die ausgehöhlten Strukturen sind das Ergebnis von politischen Entscheidungen“, fasste Giegerich zusammen. Anhand einer Matrix mit elf Kriterien zur Kernfähigkeit einer Armee verdeutlichte er, dass Deutschland gerade einmal die militärische Kraft einer Regionalmacht habe.

Militärische Aufrüstung in Russland und China

Während in den westlichen Ländern die militärischen Fähigkeiten abgenommen hätten, wies der Politikwissenschaftler, ebenso wie sein Redner zuvor, auf eine gegensätzliche Entwicklung in China und Russland hin.

Seit 2008 hätte Russland konsequent ein Modernisierungs- und Reformprogramm seiner Streitkräfte vorangetrieben. Ziel sei es, wenn nötig, Krieg in Europa führen zu können. Die konventionellen Fähigkeiten seien in Teilen besser ausgestattet als die der USA. Qualitativ und quantitativ seien sie sehr hochwertig. Noch stehe die Durchhaltefähigkeit in Frage, jedoch: „Zusammen ist das etwas, worüber man sich Sorgen machen muss“, so Giegerich.

Die technologische Überlegenheit des Westens ist nicht von Dauer.“

Dr. Bastian Giegerich

Aber auch China strecke seine Fühler in Richtung Europa aus. 2017 änderte China seine Militärdoktrin der reinen Landesverteidigung. Auch wenn China keine Erfahrung mit militärischer Gewalt hat, „beschäftigt sich China mit uns“ und „agiert in Europa“, etwa durch „chinesisch-russische Übungen in unserem Umfeld.“ Chinas Plan: Bis 2035 soll die Modernisierung des Militärs abgeschlossen und bis 2049 konkurrenzfähig zu allen Armeen sein: eine „World-Class-Force“ die befähigt sein soll, überall auf der Welt Machtprojektion auszuüben Auch seien die Waffensysteme, die China auch exportieren würde, qualitativ hochwertig und keine Nachahmung westlicher Waffensysteme. „Die technologische Überlegenheit des Westens ist nicht von Dauer“, warnte Giegerich.

Blick auf die Herausforderungen lenken

Fünf Narrative zur militärischen Handlungsfähigkeit Europas nannte der Politikwissenschaftler: die strukturelle Unfähigkeit zur Verteidigung, die derzeit die Debatte bestimme, Bündnistreue und Lastenverteilung (Bezugspunkt USA), strategische Autonomie (Bezugspunkt USA), Restauration (Bezugspunkt Russland) und die Transformation mit Bezugspunkt China.

Deutschland sei „getrieben durch die Hegemonie der USA“, kritisierte Giegerich. Die Politik nehme immer die USA als Bezugspunkt, anstatt die Aufgabe selbst, die es zu bewältigen gelte. Auch richte sich der politische Diskurs nicht nach den Gefahren-, sondern nach der Kassenlage. „Wofür wollen wir Streitkräfte? Was wollen wir erreichen? Was sind die Bedrohungslagen?“ Darüber sollte die Politik nachdenken und „nicht mit 2 Prozent argumentieren“.

Strategische Kultur Deutschlands

Dr. Heiko Biehl

„Nicht das Gegenüber wird analysiert, sondern der Partner“, beschrieb auch Dr. Heiko Biehl vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr die strategische Kultur Deutschlands. Strategische Kulturen schreiben jedem Land kulturelle Eigenheiten zu, die sicherheitspolitische Präferenzen und Entscheidungen mitbestimmen und in deren Rahmen sicherheitspolitische Entscheidungen getroffen werden können. Träger der strategischen Kultur seien gleichermaßen sowohl die politische Elite als auch die Bevölkerung, weshalb sich sicherheitspolitische Entscheidungen immer zwischen diesen Polen bewege.

Innerhalb Europas gebe es drei Typen strategischer Kultur:

  • Kleinere Staaten wie Malta, Luxemburg oder Portugal, die sich international, etwa auf Missionen, engagierten, um ihre Handlungsfähigkeit und Selbständigkeit zu dokumentieren.
  • Staaten mit einem ausgeprägten sicherheitspolitischen Gestaltungswillen. Dazu zählten Staaten wie Großbritannien, Frankreich, Polen und Schweden. Sie bestimmten mit ihren An- und Absichten die politische Agenda, nutzten Streitkräfte aktiv, um ihre Staatlichkeit zu schützen und ihre Interessen darzulegen.
  • Zwischen diesen beiden Typen rangierten die meisten europäischen Staaten, darunter auch Deutschland. Sie verstünden sich als „Teamplayer“ und engagierten sich sicherheitspolitisch vor allem in und für internationale Organisationen. Militärische Engagements erfolgten nicht im Alleingang.

Zwei zentrale – und in sich widersprüchliche Merkmale prägen die strategische Kultur der Bundesrepublik: „Nie wieder Krieg“ mit dem Vorbehalt gegen militärische Gewalt als Konfliktlösungsmittel auf der einen und „Nie wieder alleine“ auf der anderen Seite, da Deutschland sich als bündnistreuer Partner, vor allem gegenüber Frankreich, in der EU und in der NATO zeigen wolle.

Öffentlichkeit

Die bundesdeutsche Öffentlichkeit stehe ihren Streitkräften durch alle gesellschaftlichen Gruppen hindurch eher positiv gegenüber. Die Westbindung und Bündnistreue sei „fest verankert“. Die Sicht auf militärische Einsätze werde in der Bevölkerung hingegen differenzierter betrachtet. Grundsätzlich würden militärische Einsätze nicht abgelehnt, etwa bei der Landesverteidigung, und auch Stabilisierungseinsätzen lehne man nicht grundsätzlich ab, etwa mit UN-Mandat und im Bündnis. Hier werde die Frage nach dem „wie und mit welchen Mitteln“ gestellt. Besonders kritisch würde der offensive Einsatz militärischer Gewalt gesehen.

Biehl sprach sich dafür aus, dass die politische Elite die sicherheitspolitische Diskussion selbstbewusster führen, sich für Optionen stark machen und dieses Narrativ dann auch vertreten sollte. Die Bevölkerung sei hier viel „erwachsener“ und die Eliten sollten diese widerspiegeln.

Zur Ethik politischer Gewalt

Dr. Hartwig von Schubert

Der Initiator der Tagung, Dr. Hartwig von Schubert, Militärdekan im Evangelischen Militärpfarramt Hamburg II, stellte in seinem letzten Vortrag die Ergebnisse seiner 15 Jahre dauernden Forschungstätigkeit dar. Zugleich waren seine Ausführungen eine Standortbestimmung und der Versuch einer Antwort auf die vielfältigen Fragestellungen und Sichtweisen, die im Verlauf der vergangenen zwei Tage zur Diskussion kamen. Von Schubert ging es als lutherischer Theologe, wie er betonte, darum, die transzendentale Begründung der Normen herauszuarbeiten, um eine Antwort zu geben wie eine Ethik politischer Gewalt normativ begründet werden könnte.

Eine Wanderung durch eine Bildergalerie

Der Referent wählte er für die Begründung einer Ethik drei Gemälde. Ein Marienbild Leonardo da Vincis wählte von Schubert, um die Sphäre „Konsens durch Barmherzigkeit“ zu verdeutlichen, die jedoch nie absolut gewaltfrei sei. Der Einsatz von mütterlich „sanfter“ Gewalt setze allerdings ein stabiles Feld an Übereinstimmung voraus.

Eine Duell-Szene des spanischen Malers Francisco Goya leitete zur nächsten Sphäre über. Aus einer Auseinandersetzung, die möglicherweise sogar im Konsens begonnen habe, könne jederzeit blutiger Ernst werden. Dann aber bedürfe es zur Wiederherstellung des Konsenus einer dritten Instanz, die die Sphäre des Rechts repräsentiere. Zur Veranschaulichung wählte von Schubert eine bewaffnete „Justitia“ des Malers Paolo Veronese. Die Garantin des Konsensus verlässt sich hier nicht auf die sanfte Gewalt der Überzeugung, sondern auf die harte Gewalt des Schwertes. Cui Bono – für wen? Diesmal zeigte er die Fotographie einer Kindersoldatin und nannte sie „das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt trägt“ und setzte das Jesus-Wort daneben: „Was ihr einem der geringsten unter euch getan habt, das habt ihr mir getan und was ihr ihm verweigert, das habt ihr mir verweigert.“ Es ist gut, wenn sich jemanden aus Barmherzigkeit auf den Weg macht, um diesem Kind die Kindheit zurückzugeben. Wenn das Mädchen jedoch ein „Recht“ auf Kindheit durchsetzen könne, dann müsse es nicht auf Barmherzigkeit warten, sondern besäße ein wirksames Zwangsmittel zur Durchsetzung seiner Kinderrechte. Ein Recht haben, heißt, jemanden zwingen zu können.

Legalität von Gewalt

Die Begründung der Legitimität von Gewalt durch einen rechtsphilosophischen Ansatz wurde zum großen Inhalt des zweiten Teils des Vortrags. Begründet Kant die Sittlichkeit als Sphäre der sanften Gewalt der Überzeugung in Prozessen einer freiwilligen inneren Selbstgesetzgebung in der Grundlegung der Metaphysik der Sitten von 1785, so entwickelt er in der Metaphysik der Sitten von 1797/98 die Idee des Rechts aus der äußeren Freiheit der Rechtsgemeinschaft, jedes ihrer Mitglieder gegen Freiheitsberaubung notfalls auch mit harter äußerlicher Gewalt zu schützen. Ist das Recht stets das Recht zu zwingen, dann muss begründet werden, warum sich Menschen gegenseitig dieses Recht einräumen sollen. Eine Rechtsgemeinschaft konstituiert sich aus der freien Zustimmung aller Rechtsgenossen. Bei der Durchsetzung des Rechtes wartet die Rechtsgemeinschaft aber nicht darauf, dass der Rechtsbrecher sich überzeugen lässt, sondern zwingt ihn mit geeigneten, notwenigen und angemessenen Gewaltmitteln zum Rechtsgehorsam. In seiner Sittlichkeit hat sich ein Mensch selbst in der Gewalt, im Recht unterstellt er sich der richterlichen Gewalt und wird notfalls von ihr unterworfen.

Staats- und Völkerrecht

Vor dem Hintergrund einer Aufzählung der großen Zäsuren der modernen Staatrechtsgeschichte –1789 Französische Revolution, 1948 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte – und der modernen Völkerrechtsgeschichte – 1649 Westfälischer Frieden, 1815 Wiener Kongress, 1907 Haager Landkriegsordnung, 1864 Genfer Konvention, 1919 Versailler Vertrag, 1945 VN-Charta – plädierte von Schubert für eine Erneuerung des politischen Willens, dem Frieden in der Welt durch Recht und die Konstitution und Exekution rechtserhaltender Gewalt zu dienen. Damit gab er dem GIDS zugleich noch viele offene Fragestellungen mit auf, die in einem zukünftigen Diskurs erörtert werden müssten, um politische Gewalt zu legitimieren und eine Ethik politischer Gewalt zu erstellen.

Eine lebhafte Diskussion, die durch Oberst Professor Dr. Rogg moderiert wurde, schloss sich diesem eindrucksvollen Vortrag an. Dabei wurde noch einmal deutlich, dass neben dem Recht, vor allem das Gewissen des Einzelnen die entscheidenden Bezugsgrößen bilden. In diesem Zusammenhang zeigte sich einmal mehr, wie sehr von vielen eine berufsethische Normensetzung für Streitkräfte vermisst wird.

In dem von Sophie Scheidt (GIDS) moderiertem Abschlusspanel zogen Professor Oeter, Professorin Zehnpfennig und Dr. von Schubert ein Resümee der beiden Konferenztage. So wies Professor Oeter noch einmal auf die Fragilität der Völkerrechtsordnung hin, auf die Deutschland angewiesen sei, da es ein elementares Interesse an einer liberalen Weltordnung habe. Einig waren sich alle Referenten, dass nunmehr ein Transfer der Diskussion in Bundeswehr und Gesellschaft zwingend nötig sei. Die Tagung öffnete den Diskurs über die normative Begründung der Legalitität und Legitimität von Gewalt. Das GIDS wird sich mit weiteren Formaten daran beteiligen.

Autoren: Aranka Szabo / Dr. Hartwig von Schubert

Fotos:
Beitragsfoto: Bundeswehr/Aranka Szabo
Veranstaltungsfotos: Bundeswehr/Lene Bartel