„Afrika – ein Kontinent im Aufbruch“
Junge Führungskräfte stellen Empfehlungen für deutsche Sicherheitspolitik vor
Epidemien, Migration, externe Akteure, Piraterie und Terrorismus: Diese Themen sind für das afrikapolitische Engagement Deutschlands von strategischer Bedeutung. Wie sich den Herausforderungen begegnen und die Eigenverantwortung afrikanischer Länder stärken lässt, zeigt die Arbeit von 105 angehenden General- und Admiralstabsoffizieren sowie drei zivilen Führungskräften. Ihre Handlungsempfehlungen resultieren aus einer zweijährigen Studienphase unter dem Dach des German Institute for Defence and Strategic Studies, kurz GIDS. Zu der Abschlusspräsentation an der Führungsakademie der Bundeswehr erschienen jetzt 65 hochrangige Gäste aus dem Bundesministerium der Verteidigung und anderer Ministerien direkt vor Ort in Hamburg-Blankenese, rund 400 Zuschauer verfolgten den Livestream.
Geballtes Wissen auf 300 Seiten
Das Thema „Afrika – ein Kontinent im Aufbruch“ hatte der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, persönlich vorgegeben. Die Teilnehmenden des Lehrgangs General- und Admiralstabsdienst National 2018 (LGAN 2018) sollten kritisch, ohne Schere im Kopf analysieren und Empfehlungen für das Verteidigungsministerium ausarbeiten. Stellvertretend für seine Lehrgangskameradinnen und –kameraden überreichte nun Oberstleutnant Alexander Draht die Ergebnisse an den Generalinspekteur – auf mehr als 300 Seiten, aufgeschlüsselt nach Gestaltungsfeldern und Regionen. Dem vorausgegangen war ein Tag mit Einblicken, Erkenntnissen und Diskussionen.
Denken ohne Grenzen
Inhaltlich hatten die jungen Stabsoffiziere fünf Themen identifiziert und untersucht: transnationaler Terrorismus in der Sahelzone, unkontrollierte und irreguläre Migration in Nordafrika, externe Akteure am Horn von Afrika, Pandemien und Seuchen an der Westküste sowie Schutz der Handelslinien am Golf von Guinea. Als grundlegendes Dokument diente das Weißbuch 2016. Entstanden im Konsens aller Ministerien der Bundesregierung, bildet es die Basis der deutschen Sicherheitspolitik. Passend dazu war in der Studienphase jederzeit ressortübergreifend und vernetzt zu denken. „Hochkomplex und an Vielschichtigkeit nicht zu überbieten“, bewertete Generalmajor Oliver Kohl, Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr, die Aufgabe.
Realitäten vor Ort
„Zunächst waren wir alle erschlagen: welch ein großer, vor allem diverser Kontinent“, berichtete Dr. Maren Tomforde am Rande der Tagung. Die Wissenschaftlerin arbeitet an der Führungsakademie der Bundeswehr als Ethnologin und hatte die Studienphase von Anfang an begleitet. Ihr war es wichtig, in jedem Untersuchungsabschnitt „lokale Perspektiven vorzustellen. Schließlich neigen wir hierzulande zu einer eurozentrischen Sicht, die mit den Realitäten vor Ort wenig zu tun hat.“ Spannend sei, dass die Handlungsempfehlungen praxisorientiert und mit vergleichsweise wenig Aufwand umsetzbar seien. Ein Beispiel: Der Lehrgang rate dazu, das Kofi Annan International Peacekeeping Training Centre in Ghana um ein Maritime Training Centre zu ergänzen. Dort könnten Experten grenzübergreifende Lösungen erarbeiten und so zum Schutz von Seehandelsrouten im Golf von Guinea beitragen, wo Piraterie zunehmend ein Problem darstellt.
„Mit denen tanzen, die im Saal sind“
Ein angeregter Austausch entwickelte sich etwa zu den Schlussfolgerungen der Arbeitsgruppe Externe Akteure am Horn von Afrika. AG-Sprecher Oberstleutnant Falk Grundschok sprach sich nicht nur für den Schulterschluss mit Frankreich und für die Eindämmung des russischen Einflusses aus, sondern auch dafür, die deutsche Zusammenarbeit mit China auszuweiten. Zustimmung erhielt der Lehrgangsteilnehmer von Flottillenadmiral Axel Ristau aus dem Verteidigungsministerium. Der Unterabteilungsleiter Politik II sagte mit Blick auf Pekings Engagement am Horn von Afrika: „Man muss mit denen tanzen, die im Saal sind.“ Dagegen erinnerte Botschafter Robert Dölger daran, dass die EU China als Systemrivalen betrachte. Tatsächlich fragten sich manche afrikanischen Eliten, ob die chinesische Autokratie nicht doch das passendere Modell sei, so der Beauftragte für Subsahara-Afrika und Sahel im Auswärtigen Amt.
Lücke geschlossen
Für die Vorstellung der Ergebnisse erhielt der Lehrgang viel Lob und Beifall. „Überaus anregend und politisch wertvoll“, bilanzierte Professor Dr. Stefan Bayer, Leiter Forschung GIDS. Auch freute ihn, „dass die Methode zur Ableitung auf eine ressortübergreifende Ausbildung unter Federführung des GIDS zurückging. Damit sind wir zu einem echten strategischen Diskurs gekommen.“ Noch am Abend twitterte der höchste Soldat der Bundeswehr, General Zorn: „Mustergültige Abschlusspräsentation. Strategische Analysen, die eine Lücke schließen.“
Ein Überblick über die Ergebnisse vermittelt die Broschüre zur Studienphase; das Heft steht am Seitenende zum Download bereit.
3 Fragen an …
General Eberhard Zorn,
Generalinspekteur der Bundeswehr
Welche Empfehlungen des Lehrgangs General- und Admiralstabsdienst National 2018 finden Sie besonders spannend?
Vor allem die praxisnahen Ergebnisse der Arbeitsgruppe Violent Extremist Organizations. Auch die Vorschläge zur maritimen Sicherheit lassen sich gut umsetzen. Wieder andere Empfehlungen führen uns strategisch in die Zukunft und sind damit nicht weniger wertvoll. In jedem Fall bleibt festzuhalten: Was unsere künftigen Spitzenführungskräfte aus dem Thema „Afrika – ein Kontinent im Aufbruch“ gemacht haben, ist klasse und absolut professionell.
Warum ist es Ihnen wichtig, dass die Lehrgangsteilnehmenden querdenken und unkonventionelle Ansätze wählen?
Der Lehrgang arbeitet zwei Jahre kreativ im Team, ohne Zeitdruck und einengenden Rahmen, den etwa das Tagesgeschäft vorgibt. An dieser Studienphase will ich festhalten, denn daraus resultiert wertvoller Input für die Arbeit im Ministerium. Übrigens auch für das German Institute for Defence and Strategic Studies, das die Ergebnisse an die Öffentlichkeit trägt.
Inwiefern fließen die Empfehlungen des Lehrgangs in die Arbeit des Verteidigungsministeriums ein?
Zum Beispiel sind die Impulse für unseren Einsatz in Mali interessant, wir werden sie in den nächsten vier Jahren immer wieder zur Hand nehmen. Denn: Das EU-Mandat für EUTM Mali ist gerade erst bis 2024 verlängert worden. Dies halte ich – angesichts der Dimension dieser Aufgabe – für absolut angemessen. Wir brauchen dort einen langen Atem.
3 Fragen an …
Delidji Eric Degila, Senior Researcher am
Graduate Institute of International and Development Studies Geneva
Wenn Sie die Staaten vom Maghreb bis zum Horn von Afrika betrachten: Fällt das deutsche Engagement ins Gewicht?
Das deutsche Engagement im Maghreb und am Horn von Afrika bleibt bescheiden, aber bedeutend, da die sicherheitspolitischen Herausforderungen dort erheblich, komplex und fließend sind. Während das deutsche Engagement in der Regel im Rahmen der Europäischen Union erfolgt, würde ein differenzierter strategischer Plan die Präsenz Deutschlands in der Region sichtbarer machen.
Politische Partnerschaft, finanzielle Hilfe, militärische Unterstützung: Was erwarten die afrikanischen Länder von Berlin?
Afrika ist ein riesiger Kontinent mit unterschiedlichen Realitäten, sodass die Erwartungen der afrikanischen Staaten sehr unterschiedlich sind. Ein undifferenzierter Ansatz in den Beziehungen zwischen Deutschland und den afrikanischen Ländern ist zu vermeiden. Außerdem sollte das Engagement Deutschlands einen Beitrag zur nachhaltigen sozioökonomischen Entwicklung darstellen. Dies ist das eigentliche Bollwerk gegen gewalttätigen Extremismus, unkontrollierte Migration oder Piraterie.
Die heutige Tagung hat verschiedene Probleme der Region aufgezeigt. Aus Ihrer Sicht: Welches ist das drängendste?
Die Herausforderungen, mit denen Afrika konfrontiert ist und die heute diskutiert wurden, sind alle von entscheidender Bedeutung, sie alle zeigen die Frage nach dem modernen afrikanischen Staat und seiner Fähigkeit zur Wahrnehmung seiner Funktionen auf. Sie finden häufig in Kontexten struktureller Gewalt und horizontaler Ungleichheiten statt. Die Antwort sollte sowohl national als auch kontinental sein: Deutschland sollte maßgeschneiderte bilaterale Beziehungen zu jedem seiner afrikanischen Partner entwickeln und gleichzeitig zur Umsetzung der Agenda 2063 der Afrikanischen Union beitragen, die die Menschen in Afrika in den Mittelpunkt ihres Engagements stellt.
3 Fragen an …
Major Dr. Michelle Günther
Teilnehmerin des Lehrgangs General- und Admiralstabsdienst National 2018
Sie und ihre Kameraden haben sich zwei Jahre lang mit Afrika auseinandergesetzt. Worin bestand die größte Herausforderung?
Afrika ist nicht gleich Afrika! Wir neigen schnell dazu, Afrika als monolithischen Block zu verstehen. Genau das ist Afrika aber nicht. Afrika ist vielfältig in jeder Hinsicht: Der Kontinent ist etwa dreimal so groß wie Europa. Auf ihm existieren 54 Nationalstaaten, dazu circa 3000 Ethnien und ebenso vielen Sprachen. Dies zu verstehen, war mitunter die größte Herausforderung in der Studienphase.
War es Ihnen möglich, nach Afrika zu reisen und sich vor Ort ein Bild zu machen?
Die Studienphase wurde in den Lehrplan integriert. Dies reichte von Unterrichten über die Länder der Untersuchungsregion und über internationale Organisationen wie die Afrikanische Union, umfasste die methodische Ausbildung und wurde durch die Erstellung von vielen Lehrgangsarbeiten mit Bezug zu Afrika ergänzt. In dem Rahmen sind einzelne Lehrgangsteilnehmende nach Afrika gereist, beispielsweise nach Mali, Ghana, Sierra Leone und Äthiopien, um sich dort ein eigenes Bild von der Situation vor Ort zu machen.
Die Broschüre „Afrika – ein Kontinent im Aufbruch“ fasst die Ergebnisse prägnant zusammen. Warum sollte man auch den Sammelband lesen?
Der Sammelband ist eine Gesamtschau der gesammelten Erkenntnisse der Studienphase und zeigt auch den Weg zu den Ergebnissen, unseren Handlungsempfehlungen. Dieser Weg beginnt bei der Auswertung deutscher Interessen in Afrika und einer strategischen Zukunftsanalyse von Afrika im Jahre 2050. Als eigenständiges Werk bietet der Sammelband die Möglichkeit, gezielt nach Regionen oder Gestaltungsfeldern zu recherchieren.
Autor: Mario Assmann
Fotos: Führungsakademie der Bundeswehr / Katharina Roggmann