Der Elefant im indo-pazifischen Raum ist China

#GIDSdebate 2/2021 | 25. Januar 2021 | Autor: Sebastian Fischer-Jung | Foto: Bundeswehr / Lene Bartel

Naturkatastrophen und Klimawandel prägen den indo-pazifischen Raum. Hinzu kommen Herausforderungen wie Terrorismus, Piraterie, Drogen-, Waffen- und Menschenschmuggel. Kennzeichen des Miteinanders oder Gegeneinanders der Pazifik- und Indik-Staaten sind zudem Territorialkonflikte. Zentraler Akteur ist China. Seine militärische und wirtschaftliche Dominanz stellt die Multipolarität der Region und den westlichen Wertmaßstab regelbasierter Ordnung zunehmend infrage. Der Westen, so das Petitum von Kapitän zur See Joachim Gutow während der #GIDSdebate, braucht den Schulterschluss: Die großen Wirtschaftsmächte wie Japan, Australien, Indien, die Europäische Union (EU) und die Vereinigten Staaten von Amerika sollten sich bezüglich ihres Vorgehens in handels- und sicherheitspolitischen Fragen zum Umgang mit China abstimmen. Mit Alleingängen werde es nicht mehr möglich sein, die regelbasierte Ordnung zu verteidigen.

Diplom-Pädagoge Joachim Gutow weiß, wie elementar wichtig abgestimmtes Vorgehen ist. Vor dem Hintergrund der Entwicklungen im Indo-Pazifik erscheint es aktueller denn je. „Ich behaupte, dass wir durch China nicht nur wirtschafts- und handelspolitisch, sondern auch sicherheitspolitisch herausgefordert werden. Die EU und Deutschland können es sich nicht mehr leisten, der Entwicklung mit dem derzeitigen Tempo ihrer außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungsfindungsprozesse zu begegnen“, so der Stabsoffizier in seinem Vortrag zur vierten #GIDSdebate an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Der Kapitän zur See verweist auf die sicherheitspolitischen und ökonomischen Rahmenbedingungen, die die Interessen des Westens im indo-pazifischen Raum bestimmen: Es brauche vor allem ein einheitliches Vorgehen der westlichen Welt.

Ein Kapitän für klaren Kurs

Gutow ist seit 2020 wissenschaftlicher Referent am GIDS und widmet sich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik des Indo-Pazifik. Militärisch wuchs er in der Zerstörerflottille – später der Einsatzflottille 2 – der Deutschen Marine auf. Weiterer Meilenstein seines Werdegangs war eine Station im Bundesministerium der Verteidigung, als er die deutsche Ratspräsidentschaft von 2007 mitgestaltete. Der Kapitän kennt den indo-pazifischen Raum aus Attachézeiten in Tokyo, Singapur und Manila so gut wie die Brücke der Fregatte „Karlsruhe“, welche er zweieinhalb Jahre lang kommandierte.

Die Forderung nach einem klaren westlichen Kurs gründet auf dem Gleichklang von Wirtschafts-, Außen- und Sicherheitspolitik. Die westliche Wertschöpfung ihrer Wirtschaft brauche kohärente sicherheitspolitische Grundlagen. Chinas Einfluss im indo-pazifischen Raum sei aber auch Folge mangelnder Durchdringung mit institutionellen und normativen Werten, d.h. westliche Handelsinteressen müssten mit der Wertvorstellung einer regelbasierten, multipolaren Ordnung mit klarem Kompass durchgesetzt werden.

Zum einen sei die Lage im Indo-Pazifik durch humanitäre Probleme gezeichnet: Menschen- und Drogenschmuggel auf dem Landweg von Myanmar nach Thailand, über See zwischen Vietnam, China und den Philippinen und an vielen anderen Orten der Region. Piraterie vom Horn von Afrika bis ins Südchinesische Meer, einschließlich der Malakka- und der Singapur-Straße sowie der Sulu- und Celebes-See seien Herausforderungen, die auch den Westen beträfen. Immerhin führten wichtige Seehandelsrouten durch diesen Raum.

„Zum anderen geht es um Solidarität“, leitet Gutow auf die Frage westlichen Beistands über: Bei der Rückeroberung des durch IS-Kämpfer besetzten Marawi durch philippinische Truppen 2017 konnten sich letztere nur auf US-amerikanische und australische Unterstützung verlassen. Gegen illegale Fischerei könnten sich insbesondere die pazifischen Inselstaaten nicht mehr zur Wehr setzen und bäten daher die Küstenwachen der USA, Japans, Australiens und Neuseelands um Hilfe.

China im Streit mit allen Nachbarn

Chinas zunehmend aggressives Ausgreifen bei der Durchsetzung seiner Territorialansprüche in der Region bringe selbst starke Kontrahenten wie Japan an Belastungsgrenzen. China unterminiere den Sonderstatus Hong Kongs. Ungelöste Streitfragen wie die Kurilenfrage zwischen Japan und Russland oder philippinische Ansprüche auf Teile Sabahs in Malaysia nagten an der Stabilität der Region. „China hat mit fast allen Nachbarn Territorialkonflikte und agiert immer offensiver: gegenüber Japan bezüglich der Senkaku-Inseln und mit allen Anrainerstaaten des Südchinesen Meeres durch das Infragestellen ihrer Außenwirtschaftszonen insbesondere durch die Überlappung mit der sogenannten ‚Neun-Striche-Linie‘“: Diese markiert den Südost-Asien besonders fordernden Konflikt Chinas mit allen Anrainerstaaten des südchinesischen Meers um die Zugehörigkeit der gesamten Wasserfläche einschließlich aller Riffe und Inseln innerhalb dieser Linie. Und das, obwohl der Ständige Schiedshof in Den Haag 2016 Chinas Ansprüche im Sinne der Seerechtskonvention als unberechtigt zurückgewiesen hat.

Die blutigen Zusammenstöße im vergangenen Jahr mit indischen Truppen im Himalaya zeugten von fortgesetzten Versuchen Pekings, auch dort Grenzverläufe neu zu definieren. Schließlich ist da noch die virulente Frage rund um Taiwan, dessen Einverleibung – notfalls mit Waffengewalt – China schon angekündigt habe. Auch die Taiwanstraße betrachte Peking als nationales Gewässer. Hier hätten die USA, Kanada und Frankreich mit Durchfahrten ihrer Marineeinheiten gezeigt, dass sie diesen Anspruch nicht akzeptierten. Das durch die Regionalstaaten bisher angestrebte Gleichgewicht der Wahrung ihrer sicherheitspolitischen Interessen mit teilweise mehr oder weniger verdecktem Rückgriff auf die USA einerseits und die Pflege der Wirtschaftsbeziehungen zu China andererseits drohten, aus der Balance zu geraten.

Schiffe in die Region entsenden?

Sicherheitspolitisch stelle sich die Frage, inwieweit und wie schnell sich die EU zu einem nachhaltig wirkenden Player in diesem Raum entwickeln könne. Abgesehen von Konferenzteilnahmen und ihrem Engagement am Horn von Afrika mit der Operation Atalanta trete die EU jedoch bisher so gut wie gar nicht in Erscheinung und werde daher auch überwiegend als sicherheitspolitischer „Nonplayer“ angesehen. Mit ihrer „Maritime Security Strategy“ und der „EU Globalstrategie“ formulierte die EU schon vor Jahren den Willen, sich weltweit stärker zu engagieren. Allerdings mangele es mit Blick auf den Indo-Pazifik noch an einer konkreten Ausrichtung.

Die Entsendung von Schiffen in die Region, vorzugsweise im Rahmen eines EU-Verbandes bestehend aus Einheiten von mindestens vier bis fünf Nationen, würde zwar am Status quo der gegebenen Territorialkonflikte nichts ändern, wäre aber dort ein hochwillkommenes Zeichen der Solidarität und der Verteidigung der Seerechtskonvention, so Gutow.

Mit seinen „Leitlinien zum Indo-Pazifik“ unterstrich das Auswärtige Amt, dass die internationale Ordnung von morgen im Indo-Pazifik ausgestaltet werde. Deutschland wolle mit den Leitlinien auch einen Anstoß für die Entwicklung einer EU-Strategie für den Raum geben. Dafür bedürfe es jedoch enger Abstimmung auch mit Frankreich, welches sich jedoch mit seinen überseeischen Territorien als pazifische respektive Indik-Nation begreife und dort bisher eher die nationale Karte spiele.

China unter Xi Jinping sei heute so selbstbewusst und entschlossen wie nie zuvor

Der europäische Anspruch, sich geschlossen gegenüber Chinas Ausgreifen zu positionieren, sei bereits 2016 gescheitert, als es nicht gelang, mit einer Stimme den Haager Schiedsspruch zu Chinas Territorialansprüchen im Südchinesischen Meer zu stützen.

Es sei höchste Zeit, dass die wichtigsten Player der westlichen Welt den Schulterschluss suchten, die EU als Ganzes eingeschlossen. Sowohl handels- als auch sicherheitspolitisch. Dabei gehe es nicht um einen wie auch immer gearteten militärischen Showdown, betonte Gutow. Das westliche Lager, das sich von China immer wieder spalten lasse, müsse die Reihen schließen und zusammenstehen. Gemeinsam verabredete Sanktionen im Falle wiederholter Brüche völkerrechtlicher Verträge seien eine Möglichkeit, Peking wieder den richtigen Kurs zu weisen. Im Alleingang, wie unter Trump, werde man jedoch scheitern. Die Annahme, China werde sich mit wachsendem Wohlstand öffnen, habe sich nicht bestätigt. Das Gegenteil sei richtig: China unter Xi Jinping sei heute so selbstbewusst und entschlossen, seinen sino-zentrischen Weg durchzusetzen, wie nie zuvor.

Lebhafte Fragerunde, virtueller Klönschnack und nächste GIDSdebate zu Cyber Threats

Nach der angeregten Debatte im Anschluß an den Kurzvortrag von Kapitän zur See Gutow gingen die Debate-Teilnehmer im virtuellen Hafen des Manfred-Wörner-Zentrums vor Anker. Beim digitalen Klönschnack und Corona-gerechtem Einzel-Bier richtete der Ausguck sein Fernglas schon auf die nächste #GIDSdebate am 17. Februar: Oberstleutnant i.G. Mario Golling wird zum Thema „Streitkräfte und Cyber Threats – Herausforderungen für Politik und Gesellschaft“ vortragen.