Und ewig grüßt das Murmeltier
Dritte #GIDSdebate zur nuklearen Teilhabe
#GIDSdebate | 5. Januar 2021 | Autor: Sebastian Fischer-Jung | Fotos: Michael Gundelach
Oberst i.G. Bastian Volz ist ein Mann abgewogener Worte. In seinen Impulsvortrag zur Nuklearen Teilhabe Deutschlands „Und täglich grüßt das Murmeltier“ führt er das Bild vom „Murmeltier“ für die Frage der Nuklearen Teilhabe ein. Diese stellt sich für die Bundesrepublik, so Volz, historisch seit den 50er Jahren bis heute in immer neuen Nuancen. Dass die Mehrheit in Deutschland den Ausstieg aus der Teilhabe richtig fände, ist eine wichtige Strömung im Fluss der Debatte: denn „Politik muss sich erklären – und Politik muss nachvollziehbar und begründet sein“, sagt Volz im Vorgespräch in seinem Büro in der Fakultät Politik, Strategie und Gesellschaftswissenschaften. Der Fachgebietsleiter für Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik befasst sich vorrangig mit Fragen der Rüstungskontrolle sowie der Strategie, speziell der Nuklearstrategie und kennt die Diskussion dazu lange und gut.
Die Frage der Nuklearen Teilhabe ist in ihrer Komplexität jedoch tatsächlich nicht so einfach, wie es in der öffentlichen Debatte gern erscheint, führt Volz, der im Bundesministerium der Verteidigung in der politischen Abteilung zuständig für Strategische Raketenabwehr und beim Deutschen Militärischen Vertreter (DMV) in Brüssel für das Einbringen der deutschen Position in die Nuklearpolitik der Allianz zuständig war, in seinem Impuls zur dritten #GIDSdebate aus. Dies gerade auch mit Blick auf die Atomschläge in Hiroshima und Nagasaki vor nunmehr 75 Jahren, auf den NATO-Doppelbeschluss oder die jüngsten Tornado-Nachfolgediskussion. Die Frage sei daher insbesondere, wie die Debatte sachlich und faktenbasiert, gewissermaßen frei von Ideologie auf beiden Seiten, geführt werden könne. Die letzte #GIDSdebate in diesem Jahr leitete GIDS-Vorstandsmitglied Oberst i.G. Professor Dr. Matthias Rogg ein und eröffnete damit auch das erste Online-Format der schon Tradition gewordenen GIDS-Reihe.
Dritte #GIDSdebate in herausfordernder Lage
Nicht nur, dass die dritte #GIDSdebate einen Tag nach Beginn des zweiten Corona-Lockdowns in Deutschland stattfand, unterschied sie von ihren Vorgängern. Auch das digitale Format mit Corona-bedingt minimaler Präsenz rückte die Debatte auf ein neues, virtuelles Podium. Und auf diesem sollte es um von Volz formulierte Fragen gehen: „Wie ist Deutschland zum Teilhaber geworden und warum ist es das bis heute geblieben? Und wo liegen die Problematiken, die mit der Forderung nach einem zügigen Ausstieg aus der Nuklearen Teilhabe einhergehen?“ Hier ging es um die Kontinuitäten wie auch den Spagat zwischen ethischen Fragen und Sicherheit sowie Rüstungskontrolle und Abschreckung. Gleichzeitig ging es aber auch um immer wieder neue Facetten einer gleichen Diskussion, wie sie sich im heutigen sicherheitspolitischen Umfeld ergeben.
Ein unilateraler Ausstieg Deutschlands birgt schwerwiegende Herausforderungen
Volz ging es vor allem um die Implikationen, die ein schneller und unilateraler Ausstieg aus der Nuklearen Teilhabe nach sich ziehen würde. „Deutschlands Glaubwürdigkeit stünde auf dem Spiel. Die osteuropäischen NATO-Staaten und andere Teilhabestaaten würden das als unsolidarisch bezeichnen und sich möglicherweise selbst für eine Nukleare Teilhabe als Kompensation anbieten. Dann schließlich wäre die NATO-Russland-Grundakte endgültig am Ende – mögliche Folgeeffekte, die man in der aktuellen Diskussion nicht übersehen sollte“. Zudem sei es eine Illusion zu glauben, Deutschland könne die Nukleare Teilhabe aufgeben und einfach, wie von der Mehrheit der Bevölkerung vordergründig befürwortet, dem noch jungen Atomwaffenverbotsvertrag beitreten. Dazu müsste Deutschland aus der NATO austreten. Oder für eine NATO eintreten, die atomwaffenfrei ist.
Bei Nuklearer Teilhabe gibt es keine quick-wins, sondern dicke Bretter
Bevor der Leiter Forschung des GIDS, Prof. Dr. Stefan Bayer, die zahlreichen Teilnehmer zur Diskussion einlud, skizzierte Oberst Volz drei Forderungen für die Debatte und die Entscheidungsträger: Zum ersten könnte Deutschland in den Fragen der Nuklearpolitik der Allianz oder auch in bilateralen Gesprächen grundsätzlich aktiver und vielleicht auch kreativer sein. Zum zweiten sollten, mindestens in Expertenkreisen, szenario-basierte Untersuchungen über die Rolle von Kernwaffen in Konflikt- und Eskalationslagen vorgenommen werden, aus denen sich Schlüsse für Krisenbewältigung und Krisenvorsorge ergäben. Und zu guter Letzt sollte die Debatte von Seiten derjenigen, die den Ausstieg fordern, mit konkreten Vorschlägen geführt werden, die die Vielzahl problematischer insbesondere sicherheitspolitischer Implikationen berücksichtigt. „Es gibt immer Alternativen, aber sie müssen ausbuchstabiert und mit Preisschildern versehen werden. Wir brauchen in der öffentlichen Debatte Erwartungsmanagement und Klartext zu den Konsequenzen.“ Denn bei der Nuklearen Teilhabe gebe es keine quick-wins, sondern „dicke Bretter“.
In der anschließenden lebhaften Diskussion stand vor allem die Frage nach der „neuen“ NATO in der Biden-Ära und die französische Initiative zur europäischen Zusammenarbeit im Fokus. Volz wog die Argumente vorsichtig ab: Unilaterale Vorstöße aus Deutschland könnten für einen Präsidenten Joe Biden durchaus zum Problem werden.
Und zu den Vorstößen Präsident Emmanuel Macrons nach stärkerer, gegebenenfalls auch verteidigungspolitischer europäischer Integration und strategischem Dialog: „Frankreich wird keine nukleare Teilhabe anbieten, sondern atomar immer autonom bleiben. Und unsere Gespräche im internationalen Kameradenkreis hier an der Führungsakademie lassen auch nicht den Schluss zu, dass Frankreich selbst genau ausbuchstabiert hat, was sein Vorstoß politisch hinterlegt genau bedeutet. Derzeit liegt der Ball aber noch auf der Berliner Seite.“
Führungsakademie und GIDS erarbeiten erste konkrete Projekte für NATO-Zukunft
Führungsakademie und GIDS gehen jedenfalls schon einmal voran: Volz hat im Lehrgang für Generalstabs-/Admiralsstabsoffiziere National verschiedene Projekte ausgeschrieben, um mögliche Fragen eines französisch-deutschen strategischen Dialogs sowie szenario-basierte Analysen zu untersuchen. „Wir machen einfach einen Anfang und schauen dann, ob und wie Ergebnisse in die Debatte eingebracht werden können. Dazu sind der Führungsnachwuchs unserer Bundeswehr und die internationalen Lehrgangsteilnehmenden geradezu prädestiniert“.
Professor Bayer lud die Diskutanten in den virtuellen „wonder-me“ Raum, wo sich noch lange zu den Themen ausgetauscht wurde. Übrigens: Die nächste #GIDSdebate findet am 20. Januar 2021 um 17.00 Uhr statt. Kapitän zur See Joachim Gutow wird zu den Konfliktlinien im indopazifischen Raum sprechen – Einladung folgt!
Wer noch vertiefende Einsichten in die Thematik der Nuklearen Teilhabe haben möchte, kann das #GIDSstatement von Herrn Volz lesen.