„Das GIDS ist auf einem guten Wege“
#GIDSinterview | 23. Februar 2021 | Autorin: Dr. Victoria Eicker
Seit 2017 führt Deutschland als Rahmennation den NATO-Einsatz „Enhanced Forward Presence“ (eFP) in Litauen. Es ist einer der wichtigsten Auslandseinsätze Deutschlands, der aber in der Öffentlichkeit kaum Beachtung findet. Prof. Dr. Christian Leuprecht, unter anderem Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS), setzt sich dafür ein, dass dieser strategisch wichtige Einsatz an der Ostflanke des Bündnisses mehr Beachtung findet. Am 24. Februar veranstaltet er im kanadischen Ottawa an einem der renommiertesten Think Tanks des Landes, dem Macdonald-Laurier Institute, ein Webinar zum Einsatz von NATO Ländern zur Unterstützung der Bündnispartner im Baltikum. Anlass für das Webinar ist ein im November erschienenes Buch „Lessons from the Enhanced Forward Presence 2017 – 2020“, bei dem Leuprecht Mitherausgeber ist. Den Band stellt das NATO Defence College kostenlos zum Download zur Verfügung. Das GIDS sprach mit dem deutsch-kanadischen Politikwissenschaftler über das Webinar, sein neues Buch und das GIDS.
Herr Professor Leuprecht, Sie sind Mitveranstalter des Webinars „Lessons from the Enhanced Forward Presence 2017 – 2020“ am Macdonald-Laurier-Institute. Warum sollte man daran teilnehmen? Was ist daran interessant?
Lassen Sie mich das Webinar zunächst einmal einordnen. Die Idee dazu beruht auf dem gleichnamigen Buch, das ich im vergangenen November gemeinsam mit Alexander Lanoszka und Alexander Moens als NATO Defence College Research Paper herausgegeben habe. Meine ganz persönliche Motivation war es als Deutsch-Kanadier, insbesondere auch den Anteil Deutschlands an dieser Mission sichtbarer zu machen. Deutschland ist Rahmennation (Framework Nation) in Litauen, das heißt es führt den Einsatz in dieser Gastgebernation (Host Nation). eFP ist einer der wichtigsten NATO-Einsätze überhaupt. Aber das wird weder in Deutschland richtig wahrgenommen noch unter der Bevölkerung der meisten NATO-Bündnisstaaten. Es ist tatsächlich so, dass gerade in Deutschland – aber im Übrigen auch in Kanada – die Öffentlichkeit Auslandseinsätzen eher skeptisch gegenübersteht. Kanada ist in Lettland ebenfalls Rahmennation. Das Buch soll helfen, den Einsatz einem breiteren Publikum zugänglich zu machen und mehr Bewusstsein für die Größe und Wichtigkeit des Einsatzes und der bisher daraus gewonnenen Erkenntnisse zu schaffen. Und eben dazu dient auch das Webinar.
Was macht das Buch und den Einsatz denn so besonders?
Bisher haben sich nur wenige Wissenschaftler systematisch mit den an eFP beteiligten Ländern beschäftigt. In unserem Buch geht es um Fragen wie: Was wollten wir erreichen und was haben wir erreicht? Wie sehen die Gastgeber- und Rahmennationen den Sinn und Zweck der NATO-Mission? Was können wir daraus lernen? Gleichzeitig versuchen wir darzustellen, warum dieser Einsatz strategisch unentbehrlich ist, insbesondere für Deutschland als einzige kontinentaleuropäische und nicht-angelsächsische Rahmennation. Es ist ein implizites Ziel, Entscheidungsträgern in der Politik, Führungskräften in den Einsätzen und auch der Öffentlichkeit Argumente und Fakten rund um diesen Einsatz an die Hand zu geben. Denn die Einsätze müssen immer wieder neu mandatiert werden. Angesichts der – auch gerade jüngsten – Entwicklungen rund um Russland ist eigentlich davon aus zu gehen, dass sich eFP noch lange hinziehen wird. Seit den ersten Überlegungen der NATO 2014 und dem Beschluss von Wales 2016 zu der NATO-Mission eFP haben sich die Beziehungen zu Russland nicht wirklich entspannt. Dieser Einsatz ist eine Art Versicherungspolice für die Zukunft der Beziehungen zu Russland. Bündnisländer, die zu eFP einen Beitrag leisten, signalisieren, dass sich es sich lohnt, diese Abschreckungs-Prämie gemeinsam zu tragen. Das darf man nicht vergessen. Und es geht um die territoriale Integrität, sowohl der europäischen Staaten des Baltikums, die auch der NATO angehören und unsere demokratischen Werte und Regierungssysteme teilen, als auch des Hoheitsgebiets, der Einigkeit, der Harmonie und des Wohlstandes des Bündnisses und seiner Mitglieder schlechthin. Dieser Einsatz zeigt, dass die Bündnisstaaten entschlossen zueinanderstehen und handeln.
Wird es darum auch in dem Webinar gehen?
Ja. Wir haben jeweils vier Autoren, die in einem Impulsvortrag entweder zu dem Einsatz in Polen, Litauen, Lettland oder Estland vortragen – mit Einbezug der Rahmennationen, die die Führung der Einsätze vor Ort übernommen haben. Als Moderatorin konnten wir die ranghöchste Generalin der kanadischen Armee gewinnen. Generalleutnant Francis Allen zeichnet sich nicht nur durch eine außerordentliche Fachlichkeit und Kompetenz aus, sondern auch durch ihre Eloquenz und ihre sympathische Gesprächsführung. Jeder, der möchte, kann sich zu diesem Webinar hier zuschalten. Das GIDS ist Kooperationspartner dieser Veranstaltung. Mit dem GIDS als Kooperationspartner haben wir die Möglichkeit, das GIDS der kanadischen Öffentlichkeit näher zu bringen und gleichzeitig auch der deutschen Öffentlichkeit einen der größten kanadischen Think Tanks für nationale politische Fragen.
Herr Professor, Sie sind im wissenschaftlichen Beirat des GIDS. Seit wann sind Sie da und wie kam es dazu?
Ich habe als Politologe eine Stiftungsprofessur für Führungskultur am Royal Military College in Kanada inne. Wir pflegen enge Beziehungen zur Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr. Es kommt auch regelmäßig zum Austausch von Offizieren zwischen uns. Und so wurde ich gefragt und bin von Anfang an dabei. Der wissenschaftliche Beirat war bereits in die Planung des GIDS involviert, wir waren sozusagen Geburtshelfer. Ich denke, man hat mich gebeten, dem wissenschaftlichen Beirat beizuwohnen, weil ich einen Blick von außen habe. Ich kenne mich quasi aus in der Materie, bin aber nicht geprägt von ihr. Als Deutsch-Kanadier kenne ich die deutsche Verteidigungspolitik ganz gut, schaue aber mit einer anderen Brille darauf. Zudem arbeite ich ebenfalls an einer Militär-Hochschule.
Für wie wichtig halten Sie das GIDS?
Ich halte das GIDS für außerordentlich wichtig. Das GIDS deckt in Deutschland einen Bereich ab, für Fragen, die andere Think Tanks nicht abdecken – nämlich für Fachfragen rund um Militär, Verteidigung und Sicherheit und dies in primär strategischer Perspektive. Das fördert auch die Glaubwürdigkeit der Führungsakademie der Bundeswehr und letztlich der Bundeswehr was Experten- und Fachwissen angeht. Gleichzeitig verbindet sich dies mit der akademischen Unabhängigkeit der Helmut-Schmidt-Universität als deutscher Hochschule. Wissen Sie, von außen gesehen, zeichnet sich für mich folgendes Bild: Die deutsche Gesellschaft versteht die Bundeswehr nicht und die Bundeswehr versteht die deutsche Öffentlichkeit nicht – mal ganz salopp gesprochen. Hier kann das GIDS der Kitt werden. Ich glaube, dass so ein Think Tank in Deutschland dringend gebraucht wird. Das GIDS muss es schaffen, sein Mandat umzusetzen – und ich sehe das Institut auf einem guten Weg dorthin.
Wo sehen Sie das GIDS in zehn Jahren?
Man darf nicht vergessen, dass alle großen Mitglieder der NATO einen oder mehrere Zentren oder Anlaufstellen haben, an denen sich Öffentlichkeit, Politik und auch Experten zu Verteidigungsfragen austauschen. In vielen Bündnisstaaten wie Spanien, Großbritannien oder den USA sind das auch Think Tanks. Diese Think Tanks beschäftigen sich mit operativen Fragen, die dann wiederum politische und wirtschaftliche Fragen aufwerfen. Das scheint mir in Deutschland zu fehlen. Das GIDS sehe ich persönlich deutschlandweit und international in zehn Jahren als eines der wichtigsten Institute, das explizit und konsequent die deutsche Sicht und Expertise für Herausforderungen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik einbringt. Das wird sowohl den Diskurs und die Wahrnehmung in dieser Thematik innerhalb Deutschlands stärken, aber auch Deutschlands Position in Sicherheits- und Verteidigungsfragen innerhalb der Allianz. Ich habe das Gefühl, dass Deutschland sich oft von den Partnern der Allianz – insbesondere den USA – missverstanden fühlt. Das GIDS kann einen Beitrag leisten, sich systematisch mit deutschen Positionen zu Sicherheits- und Verteidigungsherausforderungen auseinanderzusetzen und diese zu beleuchten. Es ist ja so: Verteidigung ist letztendlich eine Versicherungspolice. Es geht dabei darum, die Herausforderungen und Schwierigkeiten von morgen im Blick zu haben. Eine demokratische Gesellschaft muss sich darauf einigen, welche Prämie sie bereit ist für Souveränität, Sicherheit, Wohlstand, regionale und internationale Stabilität, und grundlegende Menschenrechte zu zahlen. Dafür brauchen wir mehr strategisches Denken – und das scheint mir in Deutschland noch zu fehlen.