„Das GIDS muss dicke Bretter bohren“

Professor Dr. Sven Bernhard Gareis über Berührungsängste, Zusagen und die hohe See

#GIDSinterview | 25. Juni 2021 | Autor: Mario Assmann | Fotos: Bundeswehr / Katharina Roggmann

Insgesamt sechs zivile und militärische Experten bilden den Beirat des GIDS. Das Gremium aus vier Professoren und zwei ehemaligen Generälen berät den Vorstand hinsichtlich des Arbeitsprogramms und der Publikation von Forschungsergebnissen. Im #GIDSinterview stellen wir die Beiratsmitglieder in loser Folge vor.

Herr Professor Gareis, Sie gehören dem Internationalen Stab der NATO an, lehren an der Universität Münster, haben gerade eine Neuauflage Ihres Buchs zur deutschen Außen- und Sicherheitspolitik vorgelegt, waren als Reservist mehrmals in Asien eingesetzt und sind Beiratssprecher des GIDS. Wo liegt Ihr Schwerpunkt?

Mein beruflicher Ankerplatz ist der Internationale Stab der NATO in Brüssel. Dort bin ich als Projektleiter im Defence Education Enhancement Programme (DEEP) tätig und viel in Eurasien und Zentralasien unterwegs. Wir arbeiten mit Militärakademien, Verteidigungsuniversitäten und weiteren Institutionen zusammen, indem wir sie bei der Weiterentwicklung ihrer professionellen militärischen Erziehung und Ausbildung unterstützen. Vor allem im postsowjetischen Raum sind viele unserer Partner noch alten Modellen von Lehre, Ausbildung und Training verhaftet und teils noch nicht mit unseren modernen Standards vertraut, gerade auch in ihrer eigenen Wahrnehmung. Diese Staaten und Einrichtungen merken jetzt, dass sie im internationalen Vergleich noch Nachholbedarf haben, und bewerben sich bei der NATO für die Teilnahme an diesem Programm.

Wie fügt sich das DEEP in die NATO ein?

Das Strategische Konzept von 2010 definiert die drei zentralen Aufgaben der NATO: Abschreckung und kollektive Verteidigung, Krisenmanagement sowie kooperative Sicherheit. Um die kooperative Sicherheit zu stärken, arbeitet die Allianz mit 40 Partnerstaaten zusammen und nutzt hierfür unterschiedliche Formate. Das größte Programm ist Partnership for Peace (PfP), Anfang der 1990er-Jahre vom damaligen NATO-Generalsekretär Manfred Wörner ins Leben gerufen. Dazugekommen sind der Mittelmeerdialog, die Istanbuler Initiative zur Zusammenarbeit, die sich im Wesentlichen mit der arabischen Halbinsel befasst, und die bilateralen Beziehungen mit den „Partners Across the Globe“, darunter Australien, Japan, Neuseeland, Südkorea, die Mongolei. Die Länder, die ich im DEEP betreue, beteiligen sich an PfP und „Partners Across the Globe“.

Welche Länder betreuen Sie im Einzelnen?

Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kirgistan und die Mongolei. Darüber hinaus nehmen elf weitere Staaten am DEEP teil, jeweils in unterschiedlicher Intensität, mit unterschiedlichen Programminhalten. Viele Ansatzpunkte und enge Kooperationen verzeichnen wir etwa mit Georgien und der Ukraine. Daneben gibt es Staaten, zum Beispiel Kirgistan, für die ist das DEEP einer von wenigen Berührungspunkten mit der NATO. Somit halten wir auch Verbindung zu Ländern, die ein wenig abseits des allgemeinen sicherheitspolitischen Fokus stehen. Momentan bin ich viel virtuell unterwegs, aber 2019 habe ich ein Drittel des Jahres in Partnerländern verbracht.

Kommen wir zum Beirat des GIDS. Wie sieht dessen Arbeit in der Praxis aus?

Anfangs, ab 2018, ging es erst einmal darum, die institutionelle Verortung zu begleiten, zu moderieren, Missverständnisse auszuräumen, wenn es einmal hakte. Das bleibt in einer Findungsphase ja nicht aus. Außerdem haben wir uns eingehend mit Fragen zur Struktur und Arbeitsweise beschäftigt und viele konstruktive Gespräche geführt, mit dem Vorstand, aber auch mit dem Präsidenten der Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg, Professor Dr. Klaus Beckmann, und dem Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr, Generalmajor Oliver Kohl. Das hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass das Fundament, auf dem das GIDS heute steht, allseits akzeptiert wird. Damit ist die Konstituierung in die Konsolidierung übergegangen. Inhalte spielen nun die größte Rolle. Das zeigt sich schon anhand der Neuausrichtung hin zu den vier Forschungsschwerpunkten Metastrategien, Vernetzte Systeme, Geopolitik sowie Kultur und Identität. Dass die Akademie und die Universität jeweils zwei Schwerpunkte verantworten, bedeutet nicht, dass Claims abgesteckt, sondern Leads vergeben wurden. Das ist ein, wie der Beirat findet, wichtiger Schritt.

Inwiefern bringt sich der Beirat inhaltlich ein?

Etwa wenn es um Veranstaltungs- und Publikationsformate, -reihen und -themen geht. Ich denke, wir haben uns auch gut bei der organisatorischen Verortung eingebracht. Dem Beirat ist es von Anfang an wichtig gewesen, dass das GIDS eine Brückenfunktion wahrnimmt zwischen Wissenschaft und Militär, zwischen Universität und Akademie. Hier eröffnet sich die Chance auf einen befruchtenden Dialog zwischen zwei Organisationen mit ganz unterschiedlichen Kulturen. Wenn man das richtig aufsetzt, entsteht etwas Einzigartiges. Daran war uns stets gelegen. Und weil wir von der Idee GIDS überzeugt sind und sie unsere Unterstützung hat, stünden wir auch einer noch stärkeren Einbindung des Beirats nicht ablehnend gegenüber.

Welche Aufgaben nehmen Sie als Sprecher des Beirats wahr?

Das ist eine eher moderierende Rolle. Dass sich die anderen Beiratsmitglieder für mich ausgesprochen haben, ist mir eine Ehre und Freude, aber ich führe das Gremium nicht an. Es geht mehr um die Vorbereitung und Leitung unserer Sitzungen. Tritt der Beirat zusammen, herrscht eine ausgesprochen positive Atmosphäre. Für mich ist es ein Privileg, mit diesen Fachleuten und feinen Menschen zusammenzuarbeiten. In der Regel treffen wir uns zu zwei Sitzungen pro Jahr, mit dabei ist der erweiterte GIDS-Vorstand mit Oberst i.G. Professor Dr. Matthias Rogg, Professor Dr. Gary Schaal, Professor Dr. Stefan Bayer und Professor Dr. Burkhard Meißner. Bei administrativen Dingen arbeite ich viel mit Oberstleutnant i.G. Georg-Wilhelm Prinz zu Waldeck und Pyrmont zusammen. Wenn man so will, ist das die Kerntruppe unserer Sitzungen.

Das GIDS besteht sein nunmehr drei Jahren. Welche Zwischenbilanz ziehen Sie?

Die Entwicklung ist weit vorangeschritten. Wie gesagt: Der Aufbau geht in den Ausbau über. Das GIDS hat klare Vorstellungen entwickelt, in welche Richtung seine Forschung gehen soll und wer wofür verantwortlich ist. Daneben ist eine Reihe von Veranstaltungen und Publikationen entstanden. Ein solcher Thinktank, der eben nicht nur in die Bundeswehr hineinwirken, sondern auch die Öffentlichkeit erreichen soll, benötigt ferner die passende finanzielle, materielle und vor allem personelle Ausstattung. Dass die entsprechenden Zusagen eingehalten werden, ist jetzt das Wichtigste. Dann kann der Personalumfang weiter an- und eine spezifische Expertise heranwachsen. Zweifellos wird noch einige Arbeit zu leisten sein, aber die Basis ist geschaffen.

Demnach sehen Sie das GIDS auf dem richtigen Weg?

Auf jeden Fall. Die akademische und die militärisch-praktische Sichtweise zu verbinden, hat Potenzial. Denn: In den deutschen Debatten ist die militärische Dimension von Außen- und Sicherheitspolitik, vorsichtig gesagt, ausbaufähig. Da kann das GIDS viel beitragen – indem es Debatten um spezifische Kompetenzen bereichert, die Bundeswehr in öffentlichen Diskursen besser verankert, Experten zusammenzubringt, Berührungsängste nimmt, Bedenken und Vorurteile abbaut. Aufgrund meiner jahrzehntelangen Tätigkeit an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Militär weiß ich ja: Zuweilen fehlt es beiden Seiten an gegenseitigem Verständnis. Aber es geht um unsere Sicherheit, und darüber sollte unter Einbeziehung aller Erfahrungen diskutiert werden. Eine fundiertere Diskussion zu ermöglichen, darin besteht eine Chance des GIDS. Immerhin gehören Wissen und Erfahrung zu den wenigen Gütern, die sich vermehren, wenn man sie teilt. Dafür muss das GIDS dicke Bretter bohren, das erfordert einen Kraftakt, aber auch dafür ist es geschaffen worden.

Was bleibt zu tun? Welchen Kurs sollte das GIDS setzen, welchen Hafen ansteuern?

Um es mit Gustav Gründgens zu sagen: Ein Schiff ist nicht nur für den Hafen da – es muss hinaus auf hohe See! Und da wir uns in einem dynamischen Prozess befinden, laufen wir eben keinen Hafen an. Stattdessen muss ein Institut wie das GIDS die Öffentlichkeit suchen und zeigen, was es kann, Diskussionen anstoßen, auch anecken. So bleibt man in der sicherheitspolitischen Debatte relevant; das muss man sich immer wieder aufs Neue erarbeiten. Entscheidend ist dabei Unabhängigkeit: in der Wahl der Fragestellungen, in der Formulierung der Antworten. Es gibt nichts Schlimmeres, als dass eine Einrichtung als institutionelles Sprachrohr wahrgenommen wird; dann geht die Akzeptanz verloren. Wichtig ist also der Mut, Forschern die notwendigen Freiräume zu geben, damit sie relevante Frage stellen und relevante Ergebnisse liefern können.

Welche relevanten Fragen und Ergebnisse enthält Ihre eingangs erwähnte Monografie?

Bei dem Lehrbuch „Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik“, erschienen im UTB-Verlag, handelt es sich um eine Einführung mit gewisser Breite und Tiefe. Es stellt die Grundlagen und wesentlichen Handlungsfelder vor, analysiert, diskutiert, bewertet und trägt, so hoffe ich, zur sicherheitspolitischen Debatte bei. Da ich die zweite Auflage komplett überarbeitet habe, ist die jetzt vorliegende dritte Auflage eigentlich ein komplett neues Buch. Was geblieben ist: Jedes Kapitel bildet eine geschlossene Einheit. Der Leser kann eine Thematik nachschlagen und bekommt dann hoffentlich eine Vorstellung von der jeweiligen deutschen Position. Etwa zum Multilateralismus als DNA unserer Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg. Damit richtet sich das Buch an alle, die einen schnellen Zugang zum Thema oder weiterführende Hinweise suchen.

Welche persönlichen Erfahrungen sind darin eingeflossen?

Ein solches Buch schreibt man nicht am Anfang seiner Laufbahn, sondern erst, wenn man Erfahrungen gesammelt, Entwicklungen begleitet hat. Nach Jahren der Beobachtung und analytischen Begleitung sortiert man Prozesse einfach anders ein. Mich prägt zum Beispiel, dass ich heutzutage mit dem Kommandeur der armenischen Verteidigungsuniversität zusammenarbeite – während wir zu unserer Zeit als junge Leutnante per definitionem Feinde waren. Die Herausforderung als Autor besteht darin, sich nicht im Detail zu verlieren, aber auch nicht oberflächlich zu sein. Nach Jahrzehnten in Theorie und Praxis der Sicherheitspolitik, vom Offizieranwärter bis zum Professor, fühlt man sich zur Vorlage eines solchen Lehrbuchs befugt.

Professor Dr. Sven Bernhard Gareis, geboren am 7. März 1962 im hessischen Bad Homburg v. d. Höhe, diente von 1981 bis 1994 als Offizier der Fernmeldetruppe des Heeres. Von 2006 bis 2011 arbeitete er als Leitender Wissenschaftlicher Direktor an der Führungsakademie der Bundeswehr, von 2011 bis 2018 als German Deputy Dean am George C. Marshall European Center for Security Studies in Garmisch-Partenkirchen. Seit 2018 gehört er dem Internationalen Stab der NATO in Brüssel an. Bereits seit 2007 nimmt er am Institut für Politikwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster eine Honorarprofessur wahr. Gareis ist Oberst der Reserve und hat Reservedienstleistungen als Militärattaché in China, Japan, Malaysia und Kanada sowie als Referatsleiter im Bundesministerium der Verteidigung absolviert. Der verheiratete Vater von zwei erwachsenen Kindern wohnt im Kreis Pinneberg in Schleswig-Holstein.