Zur Zukunft der Seekriegsführung
Bericht vom Kiel International Seapower Symposium
#GIDSnews I 8. Juli 2024 I Autor: Dyfed Loesche I Foto: Bundeswehr / Kristina Kolodin
Ersetzen Drohnen schon bald Boote, Schiffe oder sogar Flotten? Stellt der Seekrieg im Schwarzen Meer die operativen Grundsätze westlicher Marinen infrage? Mit diesen und weiteren Fragen hat sich jetzt das Kiel International Seapower Symposium (KISS) befasst. Veranstaltet vom GIDS und dem Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, lautete das Tagungsthema „Re-Learning War – Lessons from the Black Sea“. Dieser Text fasst ausgewählte, unter den Chatham House Rules vorgetragene Standpunkte zusammen. Demnach dürfen Aussagen verwendet, aber nicht dem Urheber zugeschrieben werden. Dies ist hier berücksichtigt.
Die Ukraine, so hieß es auf dem Symposium, verfüge seit dem Verlust der Halbinsel Krim 2014 und dem russischen Angriff 2022 über keine nennenswerten seegehenden Einheiten mehr. Dennoch habe sie durch asymmetrische Kriegsführung bemerkenswerte Erfolge erzielt, etwa mit Seedrohnen und landgestützten Seezielflugkörpern. Die Folge: Rund 40 Prozent der russischen Schwarzmeerflotte seien zerstört, stellte ein Marineoffizier fest.
Warnung vor einer Überbewertung von Seedrohnen
Drohnen seien „ein exzellentes Mittel“, fehlende konventionelle Einheiten auszugleichen und mit einer preiswerten Waffe teure Systeme zu versenken. Obwohl große Schiffe tendenziell „verwundbare High-End-Einheiten“ darstellten, blieben sie dennoch wichtig – zumal ihre Zahl und Qualität nach wie vor eine wesentliche Grundlage erfolgreicher Seekriegsführung bilde. Dies gelte für weltweit operierende Seemächte wie auch für eher regional ausgerichtete Marinen. Erforderlich sei eine Kombination aus bemannten und unbemannten Systemen.
Ein weiterer militärischer Teilnehmer warnte gar vor einer Überbewertung von Seedrohnen: „Mir ist keine Drohne bekannt, die bei schwerem Seegang im Nordatlantik einen Torpedo vom Deck einer Fregatte heben kann, um ihn gegen ein U-Boot der Akula- oder Oscar-II-Klasse ins Ziel zu bringen.“ Man arbeite zwar mit der Industrie zusammen, um derartige Drohnen zu entwickeln, aber von einem einsatztauglichen System sei man weit entfernt. Es dürfe nicht aus dem Blickfeld geraten, hier und heute einsatz- und kampffähig zu sein.
In Reichweite landgestützter Waffensysteme
Das Schwarze Meer weise besondere geografische Verhältnisse auf; ein Binnenmeer sei eben ein ganz anderer Schauplatz als der offene Ozean. Zum Beispiel lasse sich der von Land aus geführte Seekrieg mit Drohnen und Raketen nur in vergleichsweise überschaubaren, küstennahen Gewässern führen; lediglich dort gerieten etliche Seeziele in Reichweite landgestützter Waffensysteme. Speziell sei die Situation im Schwarzen Meer auch wegen der Anwendung des Abkommens von Montreux von 1936, auf dessen Grundlage die Türkei die Durchfahrt von Marineschiffen durch die Dardanellen und den Bosporus unterbindet. Daraus ergebe sich eine zusätzliche Einschränkung des Seekrieges zwischen der Ukraine und Russland.
Ein Offizier gab zu bedenken, dass es der Seekrieg sei, für den die Ukrainer ihre eigenen Waffensysteme entwickeln – und so einsetzen, wie sie es für zweckmäßig halten. Bei der Kriegsführung zur See müsse sich die Ukraine nicht mit Geberländern abstimmen, was den Einsatz bestimmter Waffen und die Zielauswahl angeht. Der somit größere Handlungsspielraum führe zum Erfolg. Ein anderer militärischer Teilnehmer zeigte sich beeindruckt von der Geschwindigkeit, mit der die Ukraine Lehren aus dem Krieg ziehe und sie dann auf dem Gefechtsfeld umsetze. Schnelle Anpassung und Aneignung, das sei ein Punkt, bei dem die NATO nachbessern müsse. Allerdings lerne und adaptiere auch die russische Seite. Dies könne langfristig zuungunsten der Ukraine ausgehen; immerhin habe Moskau Zugriff auf weitaus mehr Ressourcen.
Bahnbrechend, aber nur bedingt übertragbar
Nicht nur der Materialnachschub sei wesentlich, sondern auch der Personalersatz. Proportional zur Zunahme von Verlusten im Ukraine-Krieg habe der Grad der Fähigkeiten abgenommen. Das äußere sich darin, dass einfachere Taktiken zur Anwendung kämen, führte ein Marineofffizier aus. Nur wenn im Kriegsfall nicht sofort alle Soldaten an die Front geworfen werden, sondern im rückwärtigen Raum die Ausbildung weiterläuft, sei die Durchhaltefähigkeit gewährleistet – dies umso mehr, je länger sich ein Konflikt hinziehe. In Bezug auf die Ukraine gelte das allerdings vor allem für den Landkrieg. Zur See ergebe sich ein anderes Bild: Während die ukrainische Marine 2014 und 2022 ihre Schiffe und Boote fast vollständig verlor, war das beim Personal nicht der Fall. Dieses sei bei Beginn des Krieges nahezu vollzählig gewesen.
Insgesamt lassen sich die Ergebnisse der Vorträge und Diskussionen auf dem KISS24 folgendermaßen zusammenfassen: Die zu beobachtenden technischen Neuerungen sind teils bahnbrechend, aber nicht universell einsetzbar. Zumindest die Kombination konventioneller und neuer unbemannter Systeme ist für Seemächte notwendig. Zugleich dürfen die Lehren aus diesem Seekrieg nicht zu übermäßigen Verallgemeinerungen führen, denn das Schwarze Meer hat bedeutsame geografische Besonderheiten. Drittens: Vernachlässigte konventionelle Fähigkeiten bedürfen der Auffrischung. Wobei der Seekrieg nicht gänzlich neu zu erlernen sei, aber „wir müssen so viele Lehren ziehen, wie wir nur können“, sagte ein Teilnehmer im Admiralsrang.
Das Kiel International Seapower Symposium fand in diesem Jahr Ende Juni statt: Geladene Wissenschaftler, sicherheitspolitische Berater und ranghohe Offiziere tauschten sich über die Lehren aus dem Seekrieg im Schwarzen Meer aus. Ins Leben gerufen wurde das Format vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. Das GIDS war zum ersten Mal Mitausrichter – und brachte sich mit seiner Expertise im Bereich maritime Strategie und Sicherheit ein.