Kritische Infrastrukturen und Klimawandel als Herausforderung für die Sicherheitspolitik
Internationale Tagung des GIDS an der Führungsakademie der Bundeswehr
Autor: GIDS Redaktion
Fotos: Lena Bartels, Fotolia
#GIDSnews I 26. September 2018
Klimawandel und der Schutz kritischer Infrastrukturen gehören zu den großen strategischen Herausforderungen für die Sicherheit von Staaten. Das wurde bei der internationalen Tagung des German Institute for Defence and Strategic Studies – GIDS an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg deutlich. Beide Themen hängen zusammen, nicht zuletzt, weil der Klimawandel zunehmende Risiken für kritische Infrastruktur mit sich bringt. Die Sicherheitspolitik muss diese Themen viel stärker in den Blick nehmen. Viele südamerikanische Staaten tun dies bereits, wie die international besetzten Panels eindrucksvoll unter Beweis stellten.
Der Klimawandel und seine tiefgreifenden Folgen werde mittlerweile kaum mehr in Frage gestellt, betonte Oberst Professor Dr. Matthias Rogg in seiner Einführung in die Tagung. Anders verhält es sich bei dem großen Feld der kritischen Infrastruktur, also jenen Anlagen und Einrichtungen, die , für das Funktionieren der Staaten und ihrer Gesellschaften unverzichtbar sind. „Noch mehr als in der Klima- und Umweltpolitik hat man den Eindruck, als würden die gravierenden Konsequenzen nicht nur politisch, sondern gesamtgesellschaftlich ignoriert.“
Neue Rolle der Streitkräfte
In den südamerikanischen Staaten stehen die beiden Themen sehr weit oben auf der politischen Agenda. Deshalb waren für die Konferenz auch Vertreter aus Argentinien, Brasilien, Chile und Peru als Experten angereist, um ihre Entwicklungen und Erfahrungen vorzustellen. In all diesen Ländern sind sowohl der Klimawandel als auch der Schutz kritischer Infrastrukturen strategisch wichtige politische Bereiche. „Wir müssen uns vorbereiten auf die Auswirkungen. Wir müssen das Thema Klima als weitere Bedrohung sehen und den Sicherheitsbegriff hier weiter fassen“, betonte etwa der argentinische Unterstaatssekretär Hugo Patricio Pierri.
In unterschiedlicher Ausprägung sind die Streitkräfte in den südamerikanischen Staaten in den Katastrophenschutz und in den Schutz der kritischen Infrastrukturen involviert. „Es ist ein großer Schritt, die Streitkräfte im Innern des Landes einsetzen zu können“, bewertete Staatssekretär Pierri die derzeitige Entwicklung in seinem Land. „Das erfordert einen genau definierten rechtlichen Rahmen. Die Menschen brauchen das Vertrauen, dass die Streitkräfte ausschließlich im gesetzlichen Rahmen eingesetzt werden und ausschließlich an dieser Schnittstelle zwischen nationaler Verteidigung und innerer Sicherheit.“
„Man kann das Thema nationale Verteidigung nicht vom Thema nationale Entwicklung trennen“, betonte Tenente-Colonel Fernando Valentini aus Brasilien. Er stellte die strategischen Programme des brasilianischen Heeres vor, die aufgestellt wurden um ein Monitoring der kritischen Infrastruktur sicher zu stellen, die Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit dieser Anlagen zu stärken und den Schutz zu gewährleisten. „Spezielle Großereignisse wie die Olympischen Spiele oder die Panamerikanischen Spiele haben diese Entwicklung vorangetrieben“, so Valentini.
Nationales Programm für Cyber-Sicherheit
Chile habe sich aufgrund seiner besonderen geographischen Lage lange sehr sicher gefühlt, schilderte Oberst Pedro Varela Sabando die Situation in seinem Land. Durch die digitale Entwicklung habe sich das geändert. „Wir müssen unsere Internetfähigkeit schützen vor allem in Momenten von Naturkatastrophen.“ Daher habe das Land ein eigenes nationales Programm für Cyber-Sicherheit aufgelegt.
Die kritischste aller kritischen Infrastrukturen
In seinem Impulsvortrag zu diesem Thema setzte sich Dr. Bernd Benser, Geschäftsführer der GridLAB GmbH, mit der „kritischsten aller kritischen Infrastrukturen“ auseinander – der Energie. Denn vom Strom ist auch die Funktionsfähigkeit der anderen kritischen Infrastrukturen wie Verkehr, Telekommunikation oder das Gesundheitssystem abhängig. Zwar habe Deutschland die sicherste Elektroenergieversorgung der Welt. „Aber das macht sie zugleich auch angreifbar.“
Benser warnte vor der Gefahr eines Blackouts, eines Totalausfalls in einem großen Gebiet mit den entsprechenden dramatischen Auswirkungen auf die gesamte Infrastruktur. „Wir müssen unser Energieversorgungssystem widerstandsfähiger machen. Krisenvorsorgeszenarien müssten entwickelt werden. Die Betreiber von kritischen Infrastrukturen müssten besser vernetzt werden. Zusammenarbeit und enge Vernetzung sei auch für die Behörden und Organisationen für Sicherheitsaufgaben und die Landesverteidigung unverzichtbar für den Fall der Fälle.
„Wir brauchen ein neues Denken“
Professor Dr. Stefan Bayer von der Führungsakademie der Bundeswehr konstatierte einen ungebremsten Trend zum Klimawandel und zeigte die drohenden Folgen auf. Der Klimaschutz verliere angesichts der fortgeschrittenen Entwicklung an Bedeutung – eine Anpassung an die drohenden Folgen werde zunehmend wichtiger. „Wir brauchen hier eine neue Herangehensweise, ein neues Denken in der Sicherheitspolitik“, mahnte Bayer an und ergänzte, mit Blick auf die Komplexität: „Deshalb gibt es das GIDS – um sich mit der Frage zu beschäftigen: Was machen wir denn, wenn es richtig schwierig wird?“
Die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit weichten immer mehr auf, konstatierte er. Auch die Rolle der Streitkräfte müsse vor diesem Hintergrund neu diskutiert werden – etwa als mögliche „gesellschaftliche Versicherung gegen den drohenden Klimawandel“.
Rechtlicher Rahmen ist entscheidend
„Übersäuerung, Bedrohung der Antarktis, vermehrte extreme Wetterereignisse – all das passiert heute“, sagte Capitano de Mar-e-guerra Rogerio de Oliveira Goncalves aus Brasilien. „Da verlangt die Gesellschaft vor allem auch vom Militär eine Antwort.“ Der Staat habe für das Engagement einen rechtlichen Rahmen geschaffen, der aber noch weiterentwickelt werden müsste. Die Streitkräfte müssten den Klimawandel in ihre Planung mit aufnehmen.
Die chilenische Marine engagiert sich massiv in der Erforschung der Folgen des Klimawandels. Es gebe einen nationalen Aktionsplan, schilderte Capitàn de Fragata Hermàn Zamorano Portilla die dortige Lage. „Das Phänomen Klimawandel ist eminent wichtig in unserem Land.“ Die Maßnahmen reichen vom Einsatz erneuerbarer Energien und Energieeffizienz, über intensives Monitoring und Forschung bis hin zur Einbindung des Themas in die Ausbildung von Streitkräften.
Zwei Drittel aller Katastrophen in seinem Land sind Folge von Klimaereignissen, führte Oberst Victor Arturo Miranda Alfaro aus Peru vor Augen. Peru ist Erdbebengebiet und zudem den Auswirkungen von El Nino ausgesetzt. Die Streitkräfte leisteten einen wesentlichen Beitrag im Umgang mit den Folgen des Klimawandels. „Sie sind involviert von der Vorhersage bis hin zur Beseitigung der Schäden.“ Dies geschehe immer in enger Zusammenarbeit mit den zivilen Kräften.
Kleine Gemeinden am meisten betroffen
Kleine marginalisierte Gemeinden seien von den Auswirkungen schwerer Klimaereignisse immer am stärksten betroffen, berichtete Jelena Kaifenheim, die sich für den Malteser Hilfsdienst in Haiti und Kolumbien engagierte. Lösungen müssten „umfassend, multisektoral, grenzübergreifend und global sein“, so ihre Forderung.
Ministerialdirigent Professor Dr. Roland Börger aus dem Verteidigungsministerium – als Unterabteilungsleiter verantwortlich für alle Immobilien der Bundeswehr – sieht seine Behörde vor einer großen Herausforderung für einen möglichen Krisenfall: „Welche Kritische Infrastruktur muss ich vorhalten? Wie mache ich die Kritischen Infrastrukturen durchhaltefähig und wie sichere ich das nötige Personal?“ Auf diese und weitere Fragen müsse das Ministerium eine Antwort geben. Professor Dr. Burkhard Meißner unterstrich in seiner Zusammenfassung noch einmal die Brisanz des Themas: „Wir sind immer mehr von kritischer Infrastruktur abhängig. Wir sind immer mehr vernetzt und dadurch immer verletzlicher.“