Zwischen Kampfmoral und Bürgertugenden
Was die Gesellschaft vom Militär lernen kann
#GIDSdebate | 23. Mai 2022 | Autorin: Dr. Victoria Eicker | Foto: Bundeswehr / Jana Neumann
„Die Welt ist aus den Fugen geraten. Wir haben zahlreiche und gleichzeitig auftretende Krisen. Was wir jetzt brauchen, ist eine Grundresilienz. Wir müssen tapfer, widerstands- und leidensfähig werden“, sagte Dr. Hartwig von Schubert, Senior-Fellow am GIDS, während der #GIDSdebate Mitte Mai an der Führungsakademie der Bundeswehr. Es war die Grundthese, die er um die Frage spann, welche Tugenden die Gesellschaft vom Militär übernehmen solle und welche strikt nicht. Resilienz ist beim Militär fundamental, denn die Ungewissheit, die Krise, der Krieg sind das Umfeld eines Kämpfers.
„Wir sind zwar nicht beteiligt am Krieg, aber wir sind im Krieg!“ sagte Dr. Hartwig von Schubert gleich zu Beginn. Das Undenkbare habe auf europäischem Boden wieder Gestalt angenommen. Die Begriffe Krieg, Militär, Wehrhaftigkeit finden sukzessive Eingang in den Alltag der Menschen. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat allen vor Augen geführt, wie zerbrechlich friedvolles Miteinander ist. Doch wie nun damit umgehen? Die #GIDSdebate mit dem Titel „Die Kampfmoral und die Gesellschaft. Welche Moral die Gesellschaft vom Militär lernen sollte und welche entschieden nicht“ suchte Antworten darauf. Der Theologe, ehemalige Militärdekan und jetzige Privatdozent von Schubert stellte klar fest: „Das Kombattantenprivileg obliegt den Soldatinnen und Soldaten. Das heißt, allein der staatlich beauftragte Soldat darf den bewaffneten Kampf führen“.
Hohe Kunst des Kampfes
Kombattanten dürfen straffrei töten und von Kombattanten straffrei getötet werden – im Gegensatz zu Nonkombattanten und Zivilisten. Dies sei im humanitären Völkerrecht klar geregelt. Der Kombattant müsse dafür eine jahrelange, professionelle Ausbildung durchlaufen. Ein bewaffneter Konflikt sei immer eine extreme Situation, in der für eine bestimmte Zeit ein hoher Grad an Entpersonalisierung stattfinde. In dieser extremen Situation sei es die „Kernkompetenz des militärischen Kämpfers, kalten Blutes das zu tun, was alle anderen nicht dürfen“. Soldat sei laut von Schubert wie verschiedene andere Berufe auch ein Beruf sui generis; nur der approbierte Chirurg etwa dürfe in den menschlichen Leib schneiden. „Die jahrelange Ausbildung, die den Soldaten auf den bewaffneten Kampf vorbereitet, findet zum Teil auch hier an der Führungsakademie der Bundeswehr statt. Hier lernen Offiziere, im tödlichen Gefecht zu führen, das wird hier professionalisiert.“ Diese Kernkompetenz gehöre auf keinen Fall in die Breite der Gesellschaft. „Es ist eine hohe Kunst, in den Kampf hineinzugehen, und aus ihm auch wieder, möglichst unversehrt an Leib und Seele, herauszukommen.“
Bereitschaft zur Wehrhaftigkeit
Das Militär zeichne aber noch andere Tugenden aus wie Pünktlichkeit, Loyalität, Bereitschaft zur Verantwortung. „Es ist eine der Schulen der Nation neben etlichen anderen“, so von Schubert. Die Tugenden der Loyalität und Souveränität, der Solidarität und Subsidiarität werden im Mannschaftssport genauso gebraucht und geübt wie im Schulorchester. „Dort muss man Befehle geben, sie aber auch befolgen können. Dort müssen alle für einen einstehen, wer allerdings am nächsten dran ist, muss notfalls als erster und allein zupacken“. Von Schubert betonte, dass er von einem scharfen Gegensatz zwischen heroischen und postheroischen Gesellschaften nicht viel halte. Umfragewerte zeigten, dass Menschen auch nach langen Friedenszeiten durchaus bereit wären, sich für ihre Prinzipien zur Wehr zu setzen. „Es gibt eine Bereitschaft zu Wehrhaftigkeit“, sagte der Theologe. Allerdings müsse man hier deutlich unterscheiden zwischen Zivilcourage und dem bewaffneten Kampf, der Soldatinnen und Soldaten vorbehalten sei.
Gewaltverbot und Systeme kollektiver Sicherheit
Was aber tun im Falle des Krieges? Der Theologe verwies bei dieser Frage auf die Charta der Vereinten Nationen sowie das Genfer und Haager humanitäre Recht bewaffneter Konflikte. „Das Konfliktrecht ist zusammen mit dem Friedensrecht ein hohes Gut unserer Zivilisationsfamilie“, führte er aus. Es entstand unter anderem als Konsequenz aus den verheerenden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts. Das humanitäre Völkerrecht leite uns nicht nur in Fragen der Wehrhaftigkeit, sondern durch Artikel 2 VN-Charta auch in dem unbedingten Festhalten am Gewaltverbot. Auch strategische Abschreckungskommunikation sowie die Gründung und Pflege von Systemen kollektiver Sicherheit, wie etwa der NATO, seien friedenssichernd dort verankert. „Wie fundamental die Idee kollektiver Sicherheit ist, zeigen derzeit die Beitrittsgesuche Finnlands und Schwedens in die NATO“, sagte von Schubert.
Strategische Ordnung
Dem humanitären Völkerrecht liege der Glaube an die menschliche Vernunft zugrunde. Die menschliche Vernunft – das zeige sich immer wieder – sei nicht in Stein gemeißelt und erleide Rückschläge – wie auch derzeit im russischen Angriffskrieg. „Als Theologe aber wurde ich ausgebildet, in Jahrtausenden zu denken, und in solchen Dimensionen hat die menschliche Vernunft oft versagt, sich aber immer auch weiterentwickelt. Unser Vernunftkonzept ist aus Krisen und Kriegen hervorgegangen“, sagte der Theologe. Natürlich sei jeder Krieg zunächst eine Beleidigung menschlicher Vernunft. Auch die gegen den Krieg gerichtete Charta folge keinem moralischen Überschwang, sondern einer harten Logik der Reziprozität. Unter den alles überwölbenden Dachdokumenten der Charta von 1945 und der Menschenrechtserklärung von 1948, unter dem Gebot der einzelstaatlichen Schutzpflichten und dem internationalen Gewaltverbot also, sei stets der kluge Mittelweg zu finden zwischen einer allgemeinen Zivilität und einer gegen den Krieg gerichteten Kampfmoral. Überhaupt plädierte von Schubert dafür, die genannten Dokumente viel offensiver in die Gesellschaft einzubringen. „Das gehört eigentlich in den Schulunterricht“, betonte er und sagte, dass beide Dokumente die rechtsethische Grundlage bildeten, sowohl die Gewalt im Inneren als auch Kriege und Konflikte im Äußeren zu überwinden. Dabei nahm er noch einmal Rekurs auf den eingangs erwähnten Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. „Es ist von strategischem Interesse, über ein politisch kräftiges und stabiles Russland nachzudenken. Auch die strategische Nachsorge von Kriegen ist wichtig“, sagte er. Russland lasse sich geographisch nicht verschieben. Die Zivilität erleide dort gerade eine epochale Niederlage, aber man müsse alles tun, um den Menschen im gesamten postsowjetischen Raum den Weg zu einem politischen Frieden und insbesondere aus der Ressourcenfalle zu weisen. Denn die Menschheit stehe doch vor ganz anderen Herausforderungen als irgendwelchen Gebietsansprüchen. Der Klimawandel etwa und die daraus resultierenden Folgen träfen auch Russland mit voller Wucht und ließen sich nur gemeinsam lösen. Und eben dazu bedürfe es der eingangs genannten Bürgertugenden und einer Ethik des Menschenrechts als Anleitung in der Kunst freiwilliger Selbstbeschränkung.