Hyperschallwaffen an der Akademie
Hyperschallwaffen – globale Sicherheitsarchitektur im Wanken?
Sie sind extrem schnell. Sie sind extrem manövrierbar. Sie sind extrem schwer zu orten – die Rede ist von Hyperschallwaffen. Extrem schnell bedeutet bis zu zwanzigfache Schallgeschwindigkeit. Dass sie manövrieren bedeutet, dass sie nicht wie ballistische Interkontinentalraketen einer vorhersehbaren Flugbahn folgen, sondern, dass sie auch in der oberen Atmosphäre ihren Kurs ändern können. Sie sind eine neue Herausforderung für die Luftverteidigung. Ende November war dies Thema einer Fachtagung am „German Institute for Defence and Strategic Studies“, kurz GIDS, in Hamburg.
Für das Auge war es ein Meer aus dunkelblauen Luftwaffenuniformen, die Ende November den Flaggensaal in der Clausewitz-Kaserne der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg ausfüllten. Neben den Offizieren waren aber auch Experten aus der Luftfahrtbranche und Politik in die Hansestadt gereist. Das „German Institute for Defence and Strategic Studies“ (GIDS) und die Fakultät Luftwaffe der Führungsakademie hatten zur Fachtagung „Auswirkungen und Bedrohungen durch Hyperschallwaffen auf die bestehende Luftverteidigungsarchitektur“ eingeladen. Das Thema ist vor dem Hintergrund der Entwicklung der luftgestützten Kinshal-Rakete und des Avangard-Hyperschallgleiters der Russen oder der DF-17 Hyperschallwaffe der Chinesen hochaktuell. Auf der Tagung, die unter Chatham-House-Regeln stattfand, sprachen Experten aus der Luftfahrtbranche, der NATO und dem Bundesministerium der Verteidigung über das Thema. Eine wichtige Frage, die die Experten umtrieb, war, in welchen Anwendungsfeldern diese neue Technologie zum sogenannten „game changer“ wird: Also eine jener Technologieneuerungen wie etwa das Schießpulver oder die Cyber-Technologie, die das Potential hat, altes Denken und Handeln auf den Kopf zu stellen. Hierin war man sich relativ einig: Hyperschallwaffen werden die Sicherheitsarchitektur nachhaltig beeinflussen – und sie tun es auch schon. Hypersonische Flugkörper fordern jede Form der Raketenabwehr heraus. Sie lassen sich nicht nur unvorhersehbar steuern, sondern können deutlich niedriger als herkömmliche ballistische Systeme fliegen beziehungsweise in der oberen Atmosphäre gleiten, so dass Radare sie aufgrund der Erdkrümmung erst später erkennen können. Außerdem werden die bestehenden Raketenabwehrschirme mit neuen Flugprofilen und Angriffsmustern herausgefordert. Hier müssen bestehende Systeme deutlich weiterentwickelt werden. Hyperschall-Technologie hat damit Auswirkungen auf regionale und strategische Gleichgewichte.
Schnell, manövrierfähig, unberechenbar
„Es können wellenförmige Flugkurven sein“, erklärte ein Teilnehmer. Das verkürze die Reaktionszeit und erhöhe die Unsicherheit bei der Einschätzung der Absicht des Gegners. Damit verlagere sich der Entscheidungsdruck, wie man auf die Waffen schnell einwirke, auf niedrigere Hierarchieebenen – denn die Entscheidung müsse sehr schnell kommen. Die derzeitige Luftverteidigungsarchitektur des westlichen Bündnisses stelle dieses Vorgehen vor eine große Herausforderung. Aber wie weit sind Russland und China tatsächlich? Die technologische Einschätzung wurde während der Tagung zwischen den Fachleuten durchaus kontrovers diskutiert. Hier wurden nicht nur die unterschiedlichen Hyperschallwaffensysteme erläutert, es wurde auch klargestellt, welche Nationen an dieser neuen Technologie forschen: eben Russland, China, aber auch Indien sowie die Vereinigten Staaten von Amerika. Das seien zumindest die wichtigsten. Die Forscher beobachten die Entwicklungen sehr genau. Klar wurde: Die Entwicklung der Hyperschallgleiter geht noch schneller voran, als zunächst angenommen. „Die Waffen sind da.“ Testflüge seien insbesondere in Russland und China sehr zahlreich, auch die Anzahl der Veröffentlichungen zu diesem Thema. Die Technologie sei somit glaubhaft schon relativ weit fortgeschritten. „Es ist glaubwürdig, dass sie in einer sehr kurzen Zeit operationell eingesetzt werden können und in Serie gehen“, hörte man während der Tagung. Gerade die operationellen Effekte hätten dann wiederum Auswirkungen auf die Luftverteidigung. Auf der Welt gäbe es zurzeit keine ausgereifte Verteidigungstechnologie, die den neuen Hyperschallgleitern gewachsen sei. Obwohl diese Technologie nicht neu ist. Sie wurde allerdings im Westen seit dem Kalten Krieg eher vernachlässigt. So sind viele Herausforderungen noch zu lösen. Für das westliche Bündnis bedeutet das aber, dass ein rascher Forschungssprung geleistet werden muss, um einerseits die Fähigkeit auszubauen, gegen solche Angriffe zu wirken, und um andererseits das strategische Gleichgewicht zu erhalten.
Bedrohung ist Fähigkeit und Absicht
Fakt ist, Hyperschallwaffen stellen eine Bedrohung dar. Das schrecke auch Politiker weltweit auf. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis die Fähigkeiten entsprechend ausgebaut sind. Jetzt gehe es darum, mit welchen Absichten Russland wie auch China diese Fähigkeiten ausbauen. „Unabhängig von den Absichten gelte es, die Luftverteidigungsarchitektur an die neue Bedrohung anzupassen. Und das sei eine große Herausforderung“. Hier war man sich rasch einig, dass dies überhaupt nur im Bündnis gehe. Die politische Implikation dieser Fähigkeit liegt auf der Hand: Hyperschallwaffen sind ein zusätzliches Instrument der Eskalation und damit auch ein sehr effektives Druckmittel. Insofern sei es auch ein „game changer“ – „das war einfach ein erheblicher technologischer Sprung“. Es bleibe nun die Frage, wie man politisch damit umgehen möchte. Mit Blick auf Rüstungskontrolle und Proliferationsprävention bliebe immer die Frage, ob die entsprechenden Staaten sich überhaupt noch darauf einlassen und welche Verifikationsmöglichkeiten man dann habe. Zudem gaben einige zu bedenken, dass die hypersonischen Fähigkeiten auch nur einen Aspekt in einem Strauß von Bedrohungen darstellen, den man nicht isoliert betrachten sollte. Eine andere Möglichkeit sei, die territoriale Flugabwehr den neuen Herausforderungen anzupassen. Das betreffe insbesondere das transatlantische Bündnis. Eine weitere Möglichkeit sei die konsequente Fortsetzung der Abschreckungspolitik. Bisher könne nur die NATO ein nukleares Schutzschild über Europa aufbauen – das wird sich mit dem Schutz vor Hyperschallwaffen nicht anders verhalten. Lösungen werden sich nur im Verbund und gemeinsam finden lassen, darin waren sich alle einig. Sorge gab es bezüglich der möglichen Folgen dieser neuen Bedrohung. Die Gefahr, dass es zu einem neuen Wettrüsten käme sei virulent.
Drei Fragen an
…den Direktor Ausbildung der Führungsakademie der Bundeswehr, Brigadegeneral Holger Neumann:
1. Was ist die größte Herausforderung der neuen Hyperschallwaffentechnologie an die Luftverteidigung?
Die größte Herausforderung besteht in der Kombination aus der Geschwindigkeit von Hyperschallflugkörpern in der Größenordnung von mehr als Mach 10, also über 10-mal schneller als der Schall, sowie einer relativ flachen und beispielsweise im Fall von Hyperschallgleitern nicht berechenbaren Flugbahn. Dies reduziert sowohl die Reaktionszeit als auch insgesamt die Möglichkeit zur Abwehr von Hyperschallwaffen signifikant und fordert derzeitige Luftverteidigungssysteme deutlich an bzw. über ihren Leistungsgrenzen.
2. Russen, Chinesen und US-Amerikaner forschen bereits erfolgreich an Hyperschallwaffensystemen. Handelt es sich bei der Technologie um einen „game changer“ und wenn ja, warum?
Die Eigenschaften von Hyperschallflugkörpern sind physikalisch absolut beeindruckend. Für eine militärische Nutzung müssen solche Waffen allerdings nicht nur schnell und schwer abzuwehren sondern auch präzise einsetzbar sein. Ist es möglich, Geschwindigkeit und Präzision zu verbinden, verfügen Hyperschallwaffen über das technologische Potenzial die bestehende globale Sicherheitsarchitektur aus der Balance zu bringen.
3. Welche Rolle könnte Künstliche Intelligenz bei einer Luftverteidigungsstrategie gegen Hyperschallwaffen spielen und warum wird man sie brauchen?
Aufgrund der erwähnten Eigenschaften und dem damit verbundenen Potenzial von Hyperschallwaffen müssen zu deren Abwehr neue Systeme und Verfahren untersucht und entwickelt werden. Dies schließt bei entsprechenden Forschungsprojekten den Einsatz von Automatisierung und Künstlicher Intelligenz zum Beispiel zur Berechnung von Abfangmöglichkeiten und -zeitpunkten mit ein.
Autorin: Victoria Eicker
Fotos: Führungsakademie der Bundeswehr