Im Kontext geopolitischer Spannungen

Tagung an der Führungsakademie beleuchtet Motive und Interessen des globalen Südens

#GIDSnews I 17. Dezember 2024 I Autor: Jutta von Campenhausen I Foto: Bundeswehr / Pieter-Pan Rupprecht

Die multipolare Welt ist ein unbequemer Ort. Krieg und Imperialismus sind zurück in Europa, Gewissheiten schwinden, Konzepte von Nord und Süd scheinen den Gegensatz von Ost und West abzulösen. In diesem Kontext geopolitischer Spannungen hat jetzt eine Konferenz in der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg zu einem Perspektivenwechsel angeregt. Das Thema lautete „Globaler Süden – globaler Norden: Driftet die Welt auseinander?“. Gastgeber waren das GIDS, der Lehrgang Generalstabs-/ Admiralstabsdienst International sowie ALEX!, das Alumninetzwerk der Führungsakademie. Auf ihre Einladung hin setzten sich Experten und Expertinnen von vier Kontinenten mit der neuen Weltunordnung, mit Akteuren, Blöcken und Entwicklungen auseinander.

Im ersten Panel listete Abel Esterhuyse, Professor für Militärwissenschaften an der Universität Stellenbosch auf, was die BRICS-Gruppe wichtiger Schwellenländer eint – und was sie trennt. Denn selbst innerhalb dieser mittlerweile neun Mitglieder zählenden Gruppe gebe es Nord-Süd- und West-Ost-Zugehörigkeiten, hoch und weniger entwickelte Länder, Autokratien und Demokratien. Mit auf dem Panel: Repräsentanten für Brasilien, Vietnam und Tansania. Sie alle beantworteten die Frage „Was ist der globale Süden?“ mit – weiteren Fragen: Bedeutet der Niedergang des Westens einen Niedergang von Demokratie und freiem Markt? Steuern wir auf eine geteilte Welt zu? Was verändert sich mit dem wachsenden Gewicht des Südens in der Welt? Konkret werden solche Fragen im Blick auf den Krieg in der Ukraine. Als im Februar 2022 Russland die Ukraine angriff, war etwa die deutsche Außenpolitik entsetzt; der weniger eurozentristische Blick sieht es gelassener. Zur Einordnung: Zwei Drittel der Weltbevölkerung leben in Ländern, die sich neutral oder russlandfreundlich zum Ukraine-Krieg geäußert haben.

Die Länder des globalen Südens leiden mehr unter den Sanktionen, die Europa gegen Russland verhängt hat, als unter dem Krieg: Lebensmittel, Dünger und Treibstoff werden teurer. 44 Prozent des in Afrika importierten Getreides stammt aus Russland oder der Ukraine. Auch die internationale Hilfe für das Kriegsgebiet sieht der Süden mit gemischten Gefühlen. Nach der Invasion in die Ukraine hat die internationale Gemeinschaft den von den Vereinten Nationen identifizierten humanitären Bedarf für die Ukraine zu 80 Prozent zugesagt. Der Gebertopf für die humanitären Notlagen im Jemen war hingegen nur zu knapp 30 Prozent und der für den Sudan mit lediglich 20 Prozent gefüllt. Flüchtlinge aus Afrika und Asien werden an den EU-Grenzen abgewiesen oder ertrinken im Mittelmeer, während Ukrainer aufgenommen werden.

Der Einmarsch Russlands war völkerrechtswidrig, darüber herrschte Konsens. Aber das war auch die US-Invasion des Iraks im Jahr 2003. „Russland genießt bei den antikolonialen Staaten Sympathie“, sagte Dr. Johannes Plagemann, Senior Research Fellow des German Institute for Global and Area Studies in seiner Keynote. Russland werde im Süden nicht als Bedrohung wahrgenommen, sondern als wichtiger Partner. Dr. Carl Johan Blydal, Dozent an der Escuela Superior de Guerra Naval in Peru, stellte fest: „Die Haltung Südamerikas zum Ukrainekrieg ist eher antiamerikanisch als prorussisch.“

Dass die internationale Sicherheitsarchitektur sich unter Donald Trumps nächster Amtszeit als US-Präsident schneller verändern wird, beschäftigte die Konferenz immer wieder: Statt auf gemeinschaftliche Abkommen setzt Trump auf bilaterale Verträge und sieht die USA nicht als Weltpolizei. Während der Westen an Bedeutung verliert, treten die Staaten des Südens mit neuem Selbstbewusstsein auf. Zugleich liegen in der Vielfalt der Akteure des globalen Südens auch Chancen. Keine der weltweiten Herausforderungen kann der Westen allein lösen. In Sachen Klimawandel, Missernten, Ressourcenmangel, Migration, Anstieg des Meeresspiegels, Konflikte und Kriege kommt dem Süden eine neue und wachsende strategische Bedeutung zu.

Für die Staaten, für die nicht nur Europa und die USA eine Rolle spielen, sondern vermehrt auch Brasilien, Russland und Indien, China und Südafrika, ist Multipolarität ein positives Zukunftsszenario. Multipolarität verspricht vielen Ländern Entscheidungsspielräume, wo vorher keine waren. Im globalen Süden wird die internationale Politik daher anders gesehen als im Westen, wo man den Abschied von der alten Machtordnung als unübersichtlich und damit potenziell bedrohlich wahrnimmt. Dabei eröffnen sich neue Möglichkeiten. Schließlich überschneiden sich die fundamentalen Interessen Europas in Wirtschaft, Politik und Ökologie mit denen vieler Staaten des globalen Südens. Neue politische Allianzen sind notwendig. Doch wer im globalen Süden Unterstützung sucht, muss die Motive und Interessen verstehen. Dazu gab die Tagung einen Anstoß.