Die Führungsakademie als Denkfabrik
Anfang September fand die 53. Sicherheitspolitische Informationstagung der Clausewitz-Gesellschaft an der Führungsakademie der Bundeswehr statt. Thema war die Stärkung der Resilienz und der nationalen Führungsfähigkeit im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung. Damit knüpfte die Tagung thematisch an die durch den Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabdienst National (LGAN) 2017 Ende August in Berlin veranstaltete Ergebnispräsentation an. Und tatsächlich fanden sich auch Lehrgangsteilnehmer auf einem der Panels wieder.
Die Sicherheitspolitische Informationstagung der Clausewitz-Gesellschaft fand über drei Tage statt. Etliche Panels und Vorträge von Experten und namhaften Persönlichkeiten aus dem wirtschaftlichen, politischen und militärischen Bereich führten facettenreich durch alte und neue sicherheitspolitische Herausforderungen. Angefangen bei den neuen hegemonialen Ansprüchen Russlands über die fragile Staatlichkeit rund um den arabischen Krisenbogen bis hin zu hybriden Bedrohungen im Inneren. Dabei legten die Veranstalter einen besonderen Fokus auf die Fragen zur Landes- und Bündnisverteidigung und der Stärkung der Resilienz. Dabei hat die Landes- und Bündnisverteidigung spätestens seit der Veröffentlichung des Weißbuchs 2016 eine Renaissance erfahren – allerdings vor einer neuen Kulisse: Hybride Bedrohungen und neue Angriffsformen im Cyber- und Informationsraum. Der Thematik Landes- und Bündnisverteidigung hatte sich auch der LGAN 2017 in seiner Studienphase unter dem Aspekt nationale Führungsorganisation gewidmet und die Ergebnisse in einer zweitägigen Veranstaltung in Berlin präsentiert.
Intensive Studienphase zum Thema
Unter dem Thema „künftige gesamtstaatliche und militärische Führungsstrukturen im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung“ trugen die Lehrgangsteilnehmer des LGAN 2017 Korvettenkapitän Christian Heger, Oberstleutnant Norman Böhm und Major Joachim Bosse hierzu vor. Unterstützt wurden sie von Oberst i.G. Armin Schaus, dem Projektbeauftragten der Fakultät Einsatz, Cyber und Informationsraum, Streitkräftebasis für die Studienphase. Flankiert wurden die Panelisten schließlich noch von Oberst i.G. Lars Gehlhaar, dem Lehrgangsleiter LGAN 2017, und Oberst i.G. Sönke Marahrens, Leiter wissenschaftliche Programme am German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS). Die Lehrgangsteilnehmer konnten in ihrer Studienphase ihre Ideen lehrgangsbegleitend ohne externe Vorgaben oder Auflagen entwickeln. Dies folgte dem Leitgedanken der Denkfabrik Führungsakademie mit der Zielrichtung einer strategischen Beratung bei gleichzeitigem Mut zum Diskurs. Die Ergebnisse der Lehrgangsteilnehmenden werden jetzt vom GIDS weitergeführt.
Führung in komplexen Lagen
„Mein Lehrgang hat sich lehrgangsbegleitend sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt und dem Generalinspekteur der Bundeswehr in der vergangenen Woche einen belastbaren und stringent abgeleiteten Vorschlag unterbreitet. Nun obliegt es dem GIDS, die Ergebnisse zu sichern und an der einen oder anderen Stelle zu vertiefen“, sagte Gehlhaar. Eine der wichtigsten Fragen, welche die jungen Stabsoffiziere klären mussten, war, wie zukünftig in komplexen Lagen bis hin zur Landes- und Bündnisverteidigung geführt werden kann. So machten sich dann verschiedene Projektgruppen auf den Weg um zahlreiche Arbeits- und Expertengruppen zu besuchen und mit diesen über die Herausforderungen zu diskutieren.
Konfliktbilder zusammensetzen
Herausgekommen ist unter anderem ein Baukasten von Konfliktbildern, aus dem sich mögliche Krisen- und Katastrophenlagen konstruieren lassen, sowie daraus abgeleitet der Vorschlag einer dafür geeigneten Führungsorganisation der Bundeswehr. Marineoffizier Heger stellte das Themenfeld „Konfliktbild als Grundlage nationaler Führungsfähigkeiten“ vor. „Mit dem modularen Konfliktbild haben wir den Blick in die Zukunft gewagt“, sagte er. Entwickelt haben die Lehrgangsteilnehmenden einen Baukasten mit einer Vielzahl an möglichen Szenaren wie einem Anschlagszenario, den sie dann mit einem gleichzeitigen Cyberangriff zu einem Teilkonfliktfeld kombinieren können. „Das Zusammensetzen der Teilkonfliktbilder bringt völlig neue Erkenntnisse hervor“, sagte Heger. „Hieraus haben wir dann Folgerungen für eine nationale Führungsorganisation gezogen“. So habe man es mit zunehmend fluiden, komplexen Lagen zu tun, die dennoch klare Verantwortlichkeiten erfordern. Wesentlich sei, dass Verantwortung wieder so weit wie möglich nach unten delegiert werde. Für eine effektive nationale Führungsorganisation sei eine länder- aber auch ressortübergreifende Zusammenarbeit notwendig sowie auch eine Vernetzung mit Unternehmen und Industrie. Nicht nur die Grenze zwischen innerer und äußerer Sicherheit verschwimme, auch die zwischen Krieg und Frieden. Die Frage, ob gerade ein Angriff stattfindet oder nicht, lässt sich nicht mehr so einfach beantworten.
Führung neu denken
Oberstleutnant Norman Böhm sprach unter der Überschrift „Führung neu denken“ über die Aufgabenwahrnehmung auf der militärstrategischen Ebene. Hier ging es vornehmlich um eine an die neuen Herausforderungen angepasste Führungsorganisation auf ministerieller Ebene. Böhm stellte dar, dass heute die Führungsverantwortung des Generalinspekteurs der Bundeswehr mit der gleichen Geschäftsordnung und Abteilungsstruktur wahrgenommen werde, wie auch alle ministeriellen Aufgaben im Grundbetrieb im Sinne einer Verwaltungsaufgabe. Er stellte den Vorschlag des Lehrgangs vor, der ein organisatorisch separates Element im Ministerium zur Wahrnehmung der Aufgaben der militärstrategischen Ebene vorsieht. Major Joachim Bosse befasste sich beim Themenbereich „Führung im In- und Ausland“ im Schwerpunkt mit der operativen Ebene. Hier sieht der Vorschlag des Lehrgangs eine operative Führungsebene vor, die für alle Aufgaben im In- und Ausland sowie zur truppendienstlichen Führung der Streitkräfte befähigt ist. Dieser Ebene sind taktische Kommandos zugeordnet, die in ihrer Dimension vollumfänglich Führungsaufgaben verantworten. Dem Lehrgang war bei der Erarbeitung des Vorschlags eine Verringerung von Verantwortungsdiffusion wichtig.
Weiterentwicklung im Think Tank
„Die Ergebnisse, die dem Generalinspekteur der Bundeswehr dargestellt wurden, fassen wir jetzt zusammen und legen sie dem Bundesministerium zur weiteren Verwendung vor“; sagte Marahrens. „Die Lehrgangsteilnehmer haben mit ihrer wissenschaftlich basierten Herangehensweise eine Referenzarchitektur für mögliche Führungsorganisationen geschaffen, an der zukünftig auch andere Vorschläge gemessen werden können. Der „Baukasten“ mit den Teilkonfliktbildern soll nun digitalisiert und verfeinert werden, um zukünftig auch für Übungen und Wargames zur Verfügung zu stehen“. Zudem werde das GIDS einen Deutschlanddiskurs starten, um die Thematik auch der Bevölkerung nahe zu bringen. Die sehr intensive abschließende Diskussion zeigte, dass das Thema auf hohes Interesse bei den Zuhörern stieß. Insbesondere die stringente Herleitung und das Loslösen von bisherigen Strukturen wurden besonders positiv herausgestellt. Mit dem Neuansatz der Studienphase LGAN 2017 und der Teilnahme an der Tagung im Rahmen eines Panels wurde aber allen Anwesenden eindrucksvoll klar: Die Führungsakademie der Bundeswehr wird ihrer neue Rolle als Denkfabrik gerecht.
Autor: Dr. Victoria Eicker
Fotos: Bundeswehr/Lene Bartel
Bei der Ergebnispräsentation des LGANs entfaltete sich im Diskussionsteil der Veranstaltung eine facettenreiche Fachdebatte mit Vertretern des Bundes, der Länder und Wirtschaft.