Facettenreiche Panel-Debatten zur gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge
Bei der Ergebnispräsentation des Lehrgangs Generalstabs- und Admiralstabsdienst National (LGAN) in Berlin entfaltete sich im Diskussionsteil der Veranstaltung eine facettenreiche Fachdebatte rund um das Oberthema gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge.
Gäste interaktiv mit einbezogen
Interaktiv wurden die rund 300 Gäste mit einbezogen. „Worin besteht Ihrer Meinung nach die größte Bedrohung für unsere Art zu leben?“ Und: „Von wem geht Ihrer Meinung nach die größte Gefahr durch hybride Bedrohungen aus?“ Auf der Basis elektronischer Publikumsvoten zu diesen Fragen kam der Expertendialog auf zwei Panels in Gang. Panel 1 zum Thema „Hybriden Bedrohungen gemeinsam begegnen“ und Panel 2 zum Thema „KRITIS [Kritische Infrastrukturen] schützen verbindet“.
Gegen die Nerven und Sehnen unserer Gesellschaft
Das Panel „Hybriden Bedrohungen gemeinsam begegnen“ wurde von Major Stefan Quandt moderiert. Im Zuge der Debatte unterstrich Prof. Dr. Herfried Münkler, emeritierter Professor der Humboldt-Universität zu Berlin, dass hybride Bedrohungen extrem schwer fassbar seien. Flüchtig und sich schnell verändernd stellten sie althergebrachte Muster der Einordnung und der Reaktion auf Krisen in Frage. Verfassungs-, staats- und völkerrechtlich seien hybride Bedrohungen schwer einzuordnen und stellten daher Staaten und ihre Strukturen vor enorme Probleme. Münkler empfahl daher: Wer hybriden Bedrohungen wirksamer begegnen wolle, der müsse die ressortübergreifenden Strukturen der Krisenreaktion entbürokratisieren.
Das Denken müsse sich ändern. Bei der Entwicklung von Abwehrkonzepten solle nicht nur vom Aspekt der Bedrohung, sondern auch vom Gesichtspunkt der Verwundbarkeit her gedacht werden. Hybride Bedrohungen richteten sich weniger gegen die „gepanzerte Faust“ als gegen die „Nerven und Sehnen“ unserer Gesellschaft und unseres Staates, so Münkler.
Schneller zu Entscheidungen gelangen
Lorenz Caffier, Minister für Inneres und Europa sowie stellvertretender Ministerpräsident des Landes Mecklenburg-Vorpommern, sagte: Im Kampf gegen hybride Bedrohungen seien bei der Kooperation sowohl zwischen Bund und Ländern als auch bei den Ländern untereinander Fortschritte zu verzeichnen. „Das entwickelt sich durchaus positiv“, stellte Caffier fest. Allerdings gebe es noch viel zu tun. Man müsse schneller zu Entscheidungen kommen. Und die Bezahlung von IT-Experten im Dienste der staatlichen Terrorabwehr müsse zeitgemäßer werden.
IT-Plattformen stärker in die Verantwortung nehmen
Aus New York war Botschafter Dr. Christoph Heusgen, Ständiger Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen, nach Berlin angereist. Er stellte klar, dass der Kampf gegen hybride Bedrohungen nicht national zu lösen sei. Die Vereinten Nationen seien intensiv bemüht, ihren Beitrag zu leisten. So verfolge man etwa das Ziel, globale Internetplattformen bei der Cyber-Abwehr stärker in die Verantwortung zu nehmen.
Enorme Komplexität hybrider Konflikte
Dr. Burkhard Even, Abteilungsleiter Spionageabwehr des Bundesamtes für Verfassungsschutz, wies aus seiner Erfahrung auf die enorme Komplexität hybrider Konflikte hin. Im Kampf dagegen gebe es aus Sicht der Nachrichtendienste keine Alternative zur ressortübergreifenden Zusammenarbeit über Staatsgrenzen hinweg. Wobei das Panel insgesamt die enge Kooperation mit allen nationalen und international verbundenen Nachrichtendiensten hervorhob.
„KRITIS schützen verbindet“
In einem weiteren Panel, gemeinsam moderiert von Fregattenkapitän Patrick Jacobi und Oberstleutnant Kristof Klaus Trier, kreiste die Diskussion um das Thema Kritische Infrastrukturen (KRITIS). „KRITIS schützen verbindet“ – so das Motto der Panelisten.
„Genug geistige Power im Lande“
Dabei unterstrich Generalleutnant Martin Schelleis, Inspekteur der Streitkräftebasis und Nationaler Territorialer Befehlshaber, zum Schutz von KRITIS gebe es „genügend geistige Power im Lande, die wir zusammenbinden können“. Das beste Beispiel dafür sei diese Berliner Veranstaltung der Führungsakademie der Bundeswehr.
Weltklasse-Fähigkeiten der Bundeswehr
Schelleis hob die Bedeutung schneller, ressortübergreifender Informations- und Kommunikationswege zum Schutz Kritischer Infrastrukturen hervor. So etwa im Falle von Chemiewaffen-Angriffen. Zum Schutz dagegen verfüge die Bundeswehr über „Weltklasse-Fähigkeiten“. Aber um diese auch rechtzeitig einsetzen zu können, sei ein schneller Informationsfluss im Krisenfall unerlässlich.
Die Teilnehmer der Diskussionsrunden stellten sich auch den Fragen des GIDS. Zu den Videos auf Youtube.
Übungen sind unerlässlich
Schelleis unterstrich zudem den Wert regelmäßiger ressortübergreifender Übungen zur Terror-Abwehr. Viel Wissenswertes werde dabei schon bei den Übungsvorbereitungen deutlich. Nach wie vor gelte der alte militärische Grundsatz: „Was man nicht übt, das kann man nicht.“
Auf unbekanntes Terrain wagen
Stephan Manke, Staatssekretär im Ministerium für Inneres und Sport des Landes Niedersachsen, kam auf Übungsszenarien zu sprechen und unterstrich ebenfalls die Notwendigkeit gemeinsamer Übungen. Hier sei es wichtig, nicht nur die Krisenreaktion bei bekannten Szenarien zu perfektionieren – sondern sich bewusst auch auf unbekanntes Terrain zu wagen, um den Schutz Kritischer Infrastrukturen auch im unvorhergesehensten Fall gewährleisten zu können.
Szenario des „schwarzen Schwans“
„Wir müssen das Szenario des ,schwarzen Schwans‘ denken“, so Dr. Wolfram Geier, Abteilungsleiter für Risikomanagement und Internationale Angelegenheiten im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – also Szenarien, die heute als undenkbar gelten. Es müsse noch mehr darum gehen, bei Übungsverläufen Schwachstellen im Detail aufzuspüren. Wichtig sei auch zu wissen, was man nicht wisse.
Entscheiden, wenn Bedarf ist
Christian Sachgau, Leiter Emergency and Continuity Management Deutsche Telekom AG, hob die besondere Situation bei Entscheidungen zum Schutz Kritischer Infrastrukturen hervor. Man könne nicht warten. „Wir können es uns nicht leisten, erst zu entscheiden, wenn alle wichtigen Informationen da sind.“ Es müsse eher entschieden werden, „wenn Bedarf ist.“ Denn sind Telekommunikationsstrukturen erst einmal lahmgelegt, dann sei der Schaden umso größer. Um gegen Cyber-Angriffe gewappnet zu sein, verfüge die Telekom über ein eigenes Security-Operation-Center.
Unverständnis bei den Bürgern
Prof. Dr. Markus Bresinsky, Professor für Internationale Politik und Sozialwissenschaften an der Fakultät Angewandte Natur- und Kulturwissenschaften der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg, kam auf die öffentliche Dimension von Terrorabwehr-Übungen zu sprechen. Gegenüber komplizierten Zuständigkeitsstrukturen herrsche bei den Bürgerinnen und Bürgern oft Unverständnis vor. Ihnen sei nicht bewusst, wer im Krisenfall wirklich zuständig sei. Das müsse sich ändern. Der Bürger habe Anspruch darauf zu wissen, wie er geschützt werde.
Autor: Jörg Fleischer
Fotos: Bundeswehr/Lene Bartel
Die Fachdiskussion fand im Rahmen der Ergebnispräsentation der Studienphase des Lehrgangs Generalstabs-/ Admiralstabsdienst National 2017 (LGAN 2017) der Führungsakademie der Bundeswehr in Berlin statt.